Blutspur
war.
Virginia
6. Zurück in der Wirklichkeit
Wie in Trance öffneten sich meine Augen. Die Lider flatterten wie kleine Schmetterlinge, die versuchten, von der Stelle zu kommen. Schleppend kam in mein Bewusstsein das Gefühl, dass ich sie nicht öffnen sollte. Doch warum? Etwas flüsterte mir verschwörerisch zu, dass ich die reale Welt, die sich mir dann erschloss, nicht sehen wollte. Zu viele Eindrücke würden auf mich einfließen, sich an mich klammern und durch meinen Körper und Geist dringen, ohne dass ich ahnte, wann sie wieder von mir gingen. Halb verschwommen nahm ich die Umgebung wahr. Meine Augen schmerzten und fühlten sich trocken an. Mein Körper kam mir unwirklich vor, als würde er nicht zu mir gehören. Allmählich stahlen sich Erinnerungsfetzen in meine wirren Gedanken. Ich zuckte zusammen, während mein Verstand Rückblenden freigab, was in den letzten Tagen und Stunden geschehen war.
Man hatte mich entführt, mit einem Pfeil niedergestreckt, der mich am Weglaufen gehindert und ihnen hilflos ausgeliefert hatte. Einen Tag und eine Nacht hatte ich bewusstlos auf einer Bahre gelegen, weil das Serum zu stark gewesen war. Ein Dunkler hatte mir prophezeit, dass ich von nun an zu ihnen gehören würde – tot oder lebendig ...
Eine leise Stimme drang an mein Ohr, die einen Namen wisperte. Ich vernahm sie, gewährte ihr, in mich einzudringen.
„ Virginia…“
War das mein Name? War ich gemeint?
Mein verwaschener Blick wurde klarer und langsam formte sich die Umgebung zu einem Bild. Ich lag in einem etwas abgedunkeltem Raum, der mir seltsam bekannt vorkam. Da war ein großes Fenster, ein Schreibtisch, ein Stuhl, auf dem jemand saß. Mein Herz klopfte schneller, als ich ihn erkannte.
„ Wie geht es dir?“, fragte er mich, stand auf und setzte sich auf den Rand des Bettes.
„ Brandon“, schluchzte ich und spürte, wie mir eine heiße Träne über die Wange lief.
Er nahm behutsam meine Hand in die seine und lächelte mich an.
„ Es ist alles gut, hörst du? Du bist in Sicherheit und musst keine Angst mehr haben.“
Wärme durchflutete mich. Ich nickte und ließ weiteren Tränen freien Lauf. Brandon nahm mich in die Arme und hauchte ein Kuss auf mein Haar.
„ Wie lange habe ich geschlafen?“
„ Fast einen ganzen Tag“, sagte er leise und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Möchtest du etwas trinken?“
Ich nickte und er brachte mir ein Glas Mineralwasser, das ich gierig trank.
„ Danke. Sie haben mich nicht verwandelt?“
„ Dann würdest du etwas anders aussehen und sicher nicht so seelenruhig im Bett liegen, glaub mir“, scherzte er. „Was haben Sie dir angetan? Bitte sag es mir.“
„ Meine Erinnerung ist noch schwach, gib mir etwas Zeit. Aber wie bin ich dort heraus gekommen?“, schniefte ich.
Meine Stimme war ein einziges Krächzen.
Er wischte mir das Gesicht mit einem Taschentuch behutsam trocken und begann zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Dabei fragte er mich immer wieder, ob es mir gut ginge und ich irgendetwas brauchte.
„ Also werde ich mich nicht in eine Dunkle verwandeln?“, hakte ich nach, als Brandon geendet hatte.
Für einen Moment sah er mich einfach nur an. Er zögerte.
„ Was ist denn?“ Ich bekam Furcht. „Sag doch bitte was!“
Ein Klopfen ertönte an der Tür und ein Vampir, den ich nicht kannte, bat um Einlass. Er stellte sich als Doktor vor. Brandon drückte nochmal meine Hand und verließ dann der Raum, weil mich der Arzt untersuchen wollte.
„ Ist alles in Ordnung mit mir?“, fragte ich ängstlich.
„ Man hat Ihnen etwas gespritzt“, informierte er mich ohne Umschweife. „Das Ergebnis der Untersuchung liegt noch nicht vor, wir müssen abwarten.“
Mein Blick wanderte ins Leere. „Ich werde also doch ein Monster sein. Sie haben geschafft, was sie wollten.“
Der Doktor schüttelte energisch den Kopf. „Das ist nicht gesagt, meine Liebe. Sie kennen die Prophezeiung. Ob sie sich erfüllt oder nicht, sei dahingestellt. Wir werden genügend Vorkehrungen treffen, und wir haben sehr gute Wissenschaftler, Spezialisten, die alles dafür tun werden, dass es nicht zum Äußersten kommt. Wenn die Analyse vorliegt, können wir vielleicht handeln. Bis dahin machen Sie sich bitte keine Sorgen.“
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