Blutstein
Klassenzimmer nackt an einem der Schultische saß. Neben ihm
saß eine junge Frau. Laut Bildunterschrift hieß sie Bellinda und wurde
beschrieben als »ein schüchternes schwedisches Schulmädchen, das seinen Platz
erst finden muss«.
Gerlof war sich ganz sicher, dass sie nicht Bellinda hieß. Aber er
betrachtete das Foto dennoch lange und eingehend. Nach einer Weile griff er
sogar nach seiner Brille und benutzte sie als Lupe.
Dann legte er die Brille beiseite, nahm die Zeitschrift und ging ins
Haus, um zu telefonieren. Er rief Per Mörner auf dem alten Anschluss von Ernst
an, aber niemand hob ab. Dann wählte er Mörners Handynummer.
»Mörner.«
Seine Stimme klang nach wie vor müde. Gerlof räusperte sich.
»Hier ist Gerlof, Gerlof Davidsson aus Stenvik. Haben Sie einen
Moment Zeit?«
»Ja, aber nicht lange. Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Ist
etwas passiert?«
»Wie man es nimmt!«, antwortete Gerlof. »Ich habe die Zeitschriften
Ihres Vaters ein bisschen durchgeblättert.«
»Aha, wie sind Sie denn an die rangekommen?«
»Oh, ich habe so meine Kontakte«, erwiderte Gerlof geheimnisvoll; er
wollte weder John Hagman noch dessen Sohn Anders verraten.
»Und was sagen Sie dazu?«
Gerlof hob die Zeitschrift hoch und betrachtete das Titelblatt.
»Viele blonde Perücken und traurige Augen«, sagte er. »Und es sind
ziemlich grobe Aufnahmen, sehr primitive Fotos.«
»Ich weiß«, seufzte Per und klang noch erschöpfter. »Aber so sehen
die nun einmal aus, und wir Männer kaufen so etwas.«
»Ich bin zu alt dafür«, stellte Gerlof fest.
»Und ich hatte noch nie Spaß an solchen Fotos«, entgegnete Per.
»Jerry mochte sie und auch die Filme, aber ich nicht. In keiner Lebensphase,
aber es gibt ja genügend Interessenten, die diese Zeitschriften kaufen.«
»Diese Männer auf den Fotos, wer sind die?«
»Männer?«, fragte Per erstaunt. »Das ist doch nur ein Mann. Er heißt
Markus Lukas, oder zumindest nannte er sich so.«
»Nein, es sind mehrere Männer. Mindestens zwei. Man kann ihre
Gesichter nicht sehen, aber ihre Körper unterscheiden sich.«
»Ach, tatsächlich?«
»Und keiner von denen hat sich geschützt. Keine Kondome.«
»Ja, das ist richtig. Jerry fand wohl, dass das nicht gut aussähe –
unmännlich. Sie sind ein guter Beobachter, Gerlof.«
Gerlof seufzte.
»Warum tun diese Mädchen das? Wissen Sie das?«
»Warum? Nein, das kann ich Ihnen nicht beantworten«, sagte Per.
»Vielen von ihnen ging es wohl nicht so gut, aber ich weiß es nicht.«
Er verstummte, also ergriff Gerlof wieder das Wort:
»Ich habe auf jeden Fall eine von ihnen gefunden.«
»Wie bitte?«
»Eines der Mädchen aus den Zeitschriften. Sie hatten doch gesagt,
Sie würden so gerne mit einem sprechen.«
»Sie meinen – Sie haben eines der Mädchen wiedererkannt?«
»Ich habe ihren Pullover wiedererkannt.«
»Sie hat einen Pullover an?«, fragte Per erstaunt.
»Nein, aber er liegt über einer Stuhllehne im Hintergrund«,
erläuterte Gerlof. »Sie stammt aus Kalmar, soweit ich weiß. Ich weiß nicht, wie
sie heißt, aber ich glaube, Sie werden Sie finden.«
50
P er
war auf dem Weg nach Kalmar, um Nilla zu besuchen, als Gerlofs Anruf ihn
erreichte. Er hatte gerade beschlossen, in Borgholm anzuhalten, um in die
Bücherei zu gehen. Gerlofs Entdeckungen klangen vielversprechend, aber er hatte
sich vorgenommen, zuerst nach Markus Lukas zu suchen. Vielleicht war er doch in
einem der Telefonbücher verzeichnet. Aber der Name tauchte in keinem der
Telefonbücher von Südschweden auf. Per erinnerte sich an den Namen, den Jerry
im Auto vor sich hin gemurmelt hatte, Moleng Noar .
Der Name klang asiatisch – wie ein chinesisches Restaurant. Er
blätterte in den Gelben Seiten von Malmö, wo Hans Bremer gewohnt hatte, fand
aber kein Restaurant mit diesem Namen. Er blätterte weiter zu den privaten
Telefonanschlüssen und fand unter B tatsächlich Bremer, Hans in der Terränggatan 10 B .
Per notierte sich die Adresse und grübelte weiter über den
exotischen Namen nach. Moleng
Noar.
Er nahm einen Stift und probierte die unterschiedlichsten
Schreibweisen aus:
Molang-noor
Mu-Lan Over
Moo Leng Noer
Aber seine Suche in den Büchern blieb erfolglos.
Vielleicht war das ja ein französischer Name, eine Variante von
Moulin Rouge oder so?
Moulin Noir .
Die schwarze Mühle.
Er blätterte aufs Neue und entdeckte tatsächlich einen Eintrag unter
diesem Namen. Moulin Noir war ein Nachtklub in Malmö, Öffnungszeiten von
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