Blutstein
zwei
Uhr nachmittags bis vier Uhr morgens: JEDE HALBE STUNDE EINE SHOW !, stand in
der Anzeige.
Ein Sexklub also. Wie hätte es auch anders sein können.
Hatte der Jerry auch gehört? Per gegenüber hatte er ihn nie erwähnt,
aber es würde ihn nicht weiter überraschen.
Per notierte sich die Adresse. Er würde nach Malmö fahren müssen.
Aber vorher wollte er zu Nilla. Nur noch sechs Tage bis zur Operation.
Per durfte nicht zu Nilla ins Zimmer – die Krankenschwester musste
noch ein paar Proben nehmen. Er musste warten, bis sie fertig waren.
Im Wartezimmer saß eine Person. Die Frau war etwa fünfundsechzig,
saß versunken auf einem Sofa und hatte einen Wollpullover in den Händen. Es war
nicht das erste Mal, dass er das Wartezimmer mit jemandem teilte. Aber es war
immer anstrengend – alle wussten, warum man dort saß, aber niemand hatte die
Lust oder die Kraft, darüber zu sprechen.
Sie waren Angehörige und warteten auf Untersuchungsergebnisse.
Vielleicht brauchte die Frau aber auch einfach eine Pause von den vielen
Symptomen und Beschwerden, die durch die Krankenzimmer schwebten.
Per sollte sich krankschreiben lassen, wegen der Betreuung eines
kranken Kindes – wenn er nur die Kraft dazu hätte. Marika war krankgeschrieben,
hatte sie ihm erzählt, und er wusste nicht, ob beide Eltern ein Anrecht darauf
hatten. Dafür gab es hundertprozentig ein Gesetz. In der Zwischenzeit musste er
sich mit dem Fälschen der Fragebögen behelfen.
Die Frau auf dem Sofa sah ihn plötzlich an.
»Sind Sie Nillas Vater?«
Per nickte.
»Ich bin Emils Großmutter – er hat viel von Nilla erzählt.« Sie
lächelte. »Sie sind Freunde geworden.«
»Ja, das ist richtig.« Obwohl Per Angst vor der Antwort hatte,
stellte er die Frage: »Wie geht es Emil denn?«
Ihr Lächeln erstarb.
»Sie sagen nicht besonders viel ... wir können nur warten.«
Per nickte und schwieg.
Alle warteten, es gab nichts zu sagen.
Dann endlich gab die Krankenschwester das Zimmer wieder frei.
Nilla lag in dem abgedunkelten Raum, die Hände um ihren Glücksstein.
Als er eintrat, hob sie die eine Hand zum Gruß. Es war vermutlich nur
Einbildung, aber Per fand, dass ihre Arme noch dünner aussahen und ihre Brust
noch eingefallener wirkte.
»Wie geht es dir?«
»Geht so.«
»Hast du Schmerzen?«
Nilla konzentrierte sich auf den Stein in ihren Händen.
»Im Moment nicht ... nicht so starke.« Sie seufzte. »Ich habe diese
Qualen so satt. Den Schmerz ... die Ärzte und Schwestern wollen immerzu, dass ich
ihn beschreibe. Sie fragen, wo er sitzt und wie er sich anfühlt: Ist er eher
beißend oder stechend oder krampfartig? Ich fühle mich wie in einer Prüfung,
aber ich kann das nicht so gut.«
»Das ist keine Prüfung«, beruhigte Per sie. »Du kannst antworten,
was du willst.«
»Ich weiß, aber wenn ich ihnen sage, dass sich der Schmerz anfühlt
wie eine dunkle Wolke über mir, die wächst und die weiße Wolke, auf der ich
sitze, in sich aufsaugt, hören die mir gar nicht mehr zu ... Das ist denen zu
seltsam.«
Sie schwiegen.
»Nilla, ich muss noch mal losfahren«, sagte Per nach einer Weile.
»Was denn? Hat es wieder mit Opa zu tun?«
Per schüttelte den Kopf. Er hatte ihr noch nicht vom Tod ihres
Großvaters erzählt. Das musste warten.
»Ich muss nur kurz nach Malmö und eine Sache erledigen. Aber ich bin
morgen Abend zurück, versprochen.«
51
E s
war ein ganz normaler Samstag in einer Großstadt. Die Autos fuhren durch die
Straßen, die Fähren legten nach Dänemark ab, die Leute hatten frei und
spazierten mit dem Kinderwagen in der Frühlingssonne die Strandpromenade von
Malmö entlang.
Per hatte beinahe vier Stunden für die Strecke von Kalmar gebraucht.
Gegen drei Uhr erreichte er das Stadtzentrum und parkte in einer Seitenstraße,
etwas entfernt vom Hauptbahnhof, weil die Parkgebühren dort günstiger waren.
Dann machte er sich auf den Weg, die Gasse zu finden, in der das Moulin Noir
lag.
Das Etablissement hatte keine aufwendigen Reklameschilder, um auf
sich aufmerksam zu machen. Nur eine kleine Tafel mit der Aufschrift MOULIN NOIR SEXSHOP &
NIGHTCLUB hing über dem Eingang. Die Tafel war mit einem
Eisengitter versehen, und Per vermutete, dass sich hier wahrscheinlich in
regelmäßigen Abständen Pornogegner versammelten und ihre Transparente schwangen
und mit faulen Eiern warfen. Aber jetzt war die Straße menschenleer.
Er zögerte, als er vor der Tür stand, an die jemand einen weißen
Zettel mit dem Vermerk:
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