Blutstein
Nachbarschaft,
und plötzlich kam ihr eine Idee: Vielleicht sollten sie und Max ein
Nachbarschaftsfest ausrichten, ein Fest für alle Bewohner des Ortes, nächste
Woche oder so, damit sie sich kennenlernen konnten? Außerdem wäre das für sie
eine gute Gelegenheit zu lernen, sich in größeren Gesellschaften zu bewegen und
trotzdem entspannt zu bleiben.
Ein Nachbarschaftsfest war eine sehr gute Idee.
Obwohl sie eigentlich lieber die Elfen treffen wollte, als die Nachbarn
kennenzulernen.
Es war einmal vor langer Zeit, da wanderte ein Jäger durch die Große Alvar , hatte
ihr Vater ihr als Kind erzählt. Der Jäger wollte Hasen und Fasane jagen, begegnete aber stattdessen der
großen Liebe seines Lebens. Sein Leben veränderte sich, und auch er wurde nie
wieder der Alte.
Sie muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als ihr Vater
Henry begonnen hatte, ihr die Sage von den Elfen in der Alvar zu erzählen.
Vendela hatte diese Geschichte bis heute nicht vergessen, und jetzt hatte sie
sich endlich ein Notizheft gekauft, um sie aufzuschreiben – und alles andere
auch, was sie im Laufe der Jahre über Elfen zusammengetragen hatte.
Warum sollte man so einen Text nicht auch veröffentlichen können,
vielleicht würde er den Lesern sogar gefallen? Wenn die Bücher ihres Mannes
über das Besiegen und Gewinnen so erfolgreich waren, konnte sie doch ein Buch
über Elfen veröffentlichen und wie man mit ihnen in Kontakt kommt. Sie nahm ihr
Notizheft und setzte sich in das lichtdurchflutete Wohnzimmer, das hinaus auf
die Veranda oberhalb des Steinbruchs führte. Max war noch immer in der Garage
beschäftigt.
Sie hatte schon im vergangenen Jahr den Wunsch verspürt, ein eigenes
Buch zu schreiben, kurz nachdem sie das Grundstück gekauft hatten. Darum hatte
sie sich das Notizheft angeschafft, aber Max nichts davon erzählt. Als er es
zufällig entdeckte, hatte sie einfach behauptet, es sei ein Tagebuch. Das war
gelogen, sie hatte nichts über sich zu erzählen, aber es hatte funktioniert.
Max hatte sie nicht gebeten, es lesen zu dürfen, und sie hatte in aller Ruhe,
Seite für Seite die Geschichte über die Elfen schreiben können.
Jetzt war die Geschichte von Henry an der Reihe, sie wollte sie
niederschreiben, so wie sie in ihrer Erinnerung geblieben war:
Der Jäger ging
weit hinaus in die Alvar, aber an diesem Tag bekam er weder Vögel noch
Kleinwild zu Gesicht. Alles, was er am Horizont sah, war ein großer, schlanker
Rothirsch. Das Tier schien zu warten, bis sich der Jäger näherte, um sich dann
abzuwenden und davonzuspringen.
Der Jäger folgte
ihm mit erhobenem Gewehr. Mehrere Stunden dauerte die Pirsch, aber der Jäger
kam seiner Beute keinen Meter näher. Die Sonne ging unter, und die
Abenddämmerung brach an. Vorsichtig näherte sich der Jäger dem Hirsch. Er legte
sein Gewehr an.
Da stand der
Jäger plötzlich in gleißendem Sonnenlicht mitten in der Alvar auf grünem Gras,
und kleine Bäche plätscherten zu seinen Füßen. Der Hirsch war verschwunden,
stattdessen kam eine wunderschöne große Frau in weißen Gewändern auf ihn zu.
Die Frau lächelte
ihn an und erzählte ihm, dass sie die Königin der Elfen sei und ihn schon viele
Male auf der Jagd beobachtet habe. Sie hätte sich in ihn verliebt und ihn daher
in ihr Reich gelockt.
Vendela sah von ihrem Heft auf, ihr Blick wanderte aus dem Fenster
hinunter zum breiten Sund. Im Dunkeln sah das Eis grau und schmutzig aus.
Wenn sie sich gegen die Fensterscheibe presste, konnte sie das
Nachbarhäuschen sehen, und da fiel ihr der Gedanke mit dem Fest wieder ein. Ja,
die Idee würde sie in die Tat umsetzen.
Sie lehnte sich wieder zurück und fuhr fort:
Als der Jäger die
Königin der Elfen vor sich stehen sah, ließ er das Gewehr sinken und fiel vor
ihr auf die Knie. Die Königin holte einen Silberbecher hervor, bückte sich und
schöpfte Wasser aus einem der plätschernden Bächlein. Sie füllte den Becher bis
zum Rand, erhob sich und bot dem Jäger zu trinken an. Es schmeckte nach süßem
Weißwein. Der Jäger fühlte sich frei und glücklich und wollte nicht in die Welt
der Menschen zurückkehren. Deshalb blieb er die ganze Nacht bei der Königin und
schlief in ihren Armen ein.
Als die Sonne
aufging, erwachte der Jäger, aber er war zurück in seinem Häuschen am Rand der
Alvar und lag in seinem Bett. Die schöne Königin war verschwunden. Und obwohl
er sein Leben lang auf der Alvar nach dem Eingang ins Reich der Elfen suchte,
fand er ihn nicht.
Vendela
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