Blutstein
entkommen.
Dann stützte er Nilla auf dem Weg über den Kies zur Eingangstür.
»Ich kann allein gehen«, protestierte sie, hielt sich aber trotzdem
an seinem Arm fest, als er sie durch den Flur in ihr kleines Zimmer führte.
»Das ist dein Zimmer«, sagte er. »Geputzt und gelüftet.«
Nilla ließ sich vorsichtig auf ihr Bett sinken, und Per ging zurück
zum Wagen, um ihr Gepäck und den Rollstuhl zu holen.
Jesper saß an seinem Computer, aber Jerry war nirgendwo zu sehen.
Per ging hinaus auf die Terrasse. Dort kauerte sein Vater in einem
der Liegestühle, den Sonnenhut tief ins Gesicht gezogen, die Augen geschlossen.
Seine Aktentasche lag wie ein alter brauner Hund zu seinen Füßen.
»Hallo, Jerry.« Per hockte sich vor ihn und legte ihm die Zeitung
auf die Knie. »Lies das hier mal.«
Aber Jerrys Blick heftete sich nicht auf die Zeitung, sondern auf etwas
hinter Pers Rücken.
Per drehte sich um und sah, dass Nilla in der Terrassentür stand.
Ihre Arme hingen müde an ihrem Körper herunter, aber sie lächelte Jerry an.
»Hallo, Opa«, begrüßte sie ihn. »Wie geht es dir?«
Jerry nickte, statt zu antworten. Langsam hob er den rechten Arm und
räusperte sich.
»Hallo«, erwiderte er.
Per hielt den Atem an. Sein erster Impuls war es, seine Tochter vor
Jerry zu beschützen, dabei war das gar nicht nötig.
»Opa spricht nicht so viel«, erklärte er also nur. »Ich komme auch
gleich rein ... wir essen bald.«
Nilla nickte und verschwand wieder im Haus.
Per zeigte mit dem Finger auf den Artikel über den Brand.
»Jerry, das hört sich so an, als wäre Hans Bremer im Haus gewesen.
Er wird, laut Polizei, auch noch immer vermisst.«
Sein Vater hörte ihm zwar zu, reagierte aber nicht.
»Bremer«, war das Einzige, was er sagte.
Dann hob er sein Hemd hoch und zeigte Per das große Pflaster auf
seinem Bauch. Per schüttelte den Kopf.
»Jerry, warum hat Bremer dich verletzt?«
Jerry kämpfte, um die richtigen Worte zu finden, endlich brach es
aus ihm heraus:
»Angst«, sagte er.
Per nickte. Er wollte seinen Vater zwar nicht gerne allein im Haus
zurücklassen, fragte sich aber ernsthaft, ob es eine gute Idee war, ihn mit zu
dem Nachbarschaftsfest zu nehmen.
21
H eute
würde die Party steigen. Einige Menschen hatten Nachbarschaftsfehden, aber die
Familien am Steinbruch feierten gemeinsam ein Fest – was Vendela Larsson zu
verdanken war. Sie mussten ihr nicht dankbar sein, aber ohne sie würde so etwas
tatsächlich niemals stattfinden.
Es war sechs Uhr abends, als Vendela begann, die lange Festtafel auf
der großen Veranda mit Tellern und Weingläsern zu decken. Im Westen über dem
Kalmarsund glühte die Sonne in gelben und roten Schattierungen wie ein erlöschender
Brand. In wenigen Stunden würde sie untergegangen sein. Vendela wusste, dass es
abends kalt werden konnte, und legte mehrere dicke Decken bereit, in die sich
ihre Gäste einwickeln konnten. Und zusätzlich gab es schließlich auch noch die
Heizstrahler, die jederzeit eingeschaltet werden konnten.
Max war im Bademantel aus seinem Arbeitszimmer gekommen und wollte
in die Sauna gehen. Auf nackten Füßen lief er über den Steinfußboden im
Wohnzimmer, blieb aber kurz stehen und sah durch die Verandatür.
»Bist du gut vorangekommen?«, fragte Vendela.
»Ja, ganz gut«, antwortete Max, »Der Anfang ist so weit fertig ... du
kannst ihn dir bald mal ansehen.«
»Sehr gern«, sagte Vendela, die ihm am Abend zuvor ihren Entwurf für
eine Einleitung auf den Schreibtisch gelegt hatte.
»Der Rest sind ja Rezepte und Fotos«, erklärte Max. »Da bekommen wir
schon was Ordentliches zusammen.«
Er war viel ausgeglichener, wenn er ein paar Stunden ungestört
arbeiten durfte und danach noch in die Sauna ging.
»Nicht zu heiß, Max«, ermahnte ihn Vendela. »Denk an dein Herz!«
Vendela hatte fast den ganzen Tag in der Küche verbracht. Das
Ergebnis waren verschiedene Fleisch- und Käsepasteten, die im Ofen warm
gehalten wurden. Und jetzt war auch die Festtafel fertig gedeckt.
Gegen halb sieben waren alle Vorbereitungen getroffen. Max stieß
nach seinem Saunagang frisch geduscht und umgezogen dazu, und Vendela konnte
ihn überreden, alle Gartenstühle auf die Veranda zu tragen und die Windlichter
auf dem Tisch anzuzünden. Dann schickte sie ihn los, um den alten Kapitän von
der anderen Straßenseite abzuholen.
Eine Viertelstunde später kam er mit Gerlof Davidsson im Rollstuhl
zurück. Gerlof trug einen Smoking – der glänzte und war
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