Blutsvermächtnis (German Edition)
bösartig. Er verfluchte sich, dass er sich auf den Versuch eingelassen hatte. Mom hatte ihn gebeten, sie zu seinesgleichen zu machen. Indem er den letzten Tropfen Blut aus einem Menschen saugt und ihm anschließend etwas von seinem eigenen zu trinken gibt, setzt die Verwandlung ein. Ein Vampir wird geboren.“
„Was ging schief?“
„Untote, die er schafft – oder auch welche, die wiederum von den neuen Vampiren geschaffen werden, sind allesamt bösartig. Sie verlieren mit der Zeit alles Menschliche und wandeln sich in grausame Bestien.“
„Und das hat er nicht vorher gewusst?“
„Doch. Aber er hatte gehofft, dass die Liebe stärker wäre.“
Noah brütete eine Weile vor sich hin. Nancy schwieg und gab ihm Zeit, das Gehörte zu verdauen. Irgendwann setzte sie erneut an.
„Ich weiß, dass er deinen Liebhaber zu dem gemacht hat, was er ist.“
Er schloss die Augen. Sah Jayden vor sich, wie sein apartes Gesicht sich in die bösartige Fratze von Jason verwandelt hatte. Die Fangzähne, der gelbe Geifer, der an seinem Kinn hinablief. Noah hatte geglaubt, sich etwas eingebildet zu haben, doch Nancy setzte noch eins obendrauf und stach in die offene Wunde.
„Du hast gesehen, wie er sich verändert hat, nicht wahr?“
Los Angeles – Kalifornien
N evaeh hatte tatsächlich noch fünf oder sechs Stunden tief und traumlos geschlafen, nachdem Korhonen ihr eine Spritze gegeben hatte. Dafür fühlte sich ihr Gehirn an, als schwebte es in Watte. Ihre Gedanken wollten nur langsam in Fahrt kommen und sie bemerkte, dass sie immer wieder an den gleichen Punkt zurückkehrte, ohne dass ihre Überlegungen sie zu einem Ergebnis brachten. Was passierte mit ihr? Warum verlor sie die Fähigkeit, das Träumen zu unterbinden? So viele Jahre war es Kraft ihres Willens gelungen, nur ausgesuchte Standbilder in ihren Kopf zu projizieren, dass sie den plötzlichen Kontrollverlust nicht begriff. Es konnte nur daran liegen, dass sie seit Chile unter Hochspannung stand und katastrophale Veränderungen ihr Leben prägten. Es war doch nur ein Gedankenspiel gewesen, sich der Gabe hinzugeben, um gegen Jason zu kämpfen. Sie wusste nicht einmal, ob sie es wirklich getan hätte oder lieber ihr Schicksal in Kauf genommen hätte, wäre alles wie geplant abgelaufen und Jason hätte Noah unverletzt freigelassen – ganz gleich, was ihr blühte. Keineswegs hatte sie es bislang bewusst und ernsthaft zugelassen, dass die Schublade sich öffnete. Neben ihrer Befähigung würden Erinnerungen ans Tageslicht kommen, die sie auf keinen Fall sehen wollte, das wusste sie. Sie würde durchdrehen. Sie würde töten. Wahrscheinlich war genau das der Punkt, an den jeder Dream Shaper früher oder später geriet. Das Gefühl, mit einem Bein bereits über den Klippen zu stehen, die Erinnerung an das Gespräch zwischen Dad und Granny – nichts ließ einen Hoffnungsschimmer, dass es ihr anders ergehen würde, als Jayden behauptet hatte.
Die Enttäuschung, dass er sie im Stich ließ, während sie gerade neues Vertrauen gefasst hatte, ließ ihre Hände zittern, als sie sich aufrichtete und die Decke beiseiteschlug. Sie war ein solches Schaf. Von jedem ließ sie sich einwickeln. Sie war auf Jayden ebenso hereingefallen wie auf diesen Elia.
Sie wollte nicht an die Stunden vor dem Beben denken.
Ms. Vänskä half ihr nach dem Duschen, sich anzuziehen. Nevaeh fiel es zwar auf, dass frische Kleidung bereitlag, aber ihr Denkvermögen wollte sich nicht damit auseinandersetzen, woher sie stammte. Sie aß ein halbes Brötchen und trank einen Kaffee, der etwas Leben in ihren Körper zurückbrachte. Kaum setzte sie die Tasse auf dem Tablett ab, betrat Niilo Korhonen das Zimmer.
„Guten Morgen, Ms. Morrison.“
Es folgte das übliche Geplänkel – fast kam sie sich vor, als läge sie im Krankenhaus und die Chefvisite fände statt.
„Wir fahren in den nächsten Minuten los, um Ihren Termin bei dem Psychologen wahrzunehmen.“
Nevaeh ergab sich kommentarlos. Willenlos. Mechanisch. Vielleicht stand sie noch unter Medikamenteneinfluss oder sogar unter Drogen. Wahrscheinlicher aber setzte der Wahnsinn ein. Im Fahrzeug erst fiel ihr auf, dass sie überhaupt nicht danach gefragt hatte, warum der Psychiater sich nicht im gleichen Haus aufhalte – aber sie gab sich sogleich eine mögliche Antwort. Sie fuhren in seine Praxis. Wieso sollte das DPA auch eigene Leute in L. A. haben? Aber hatte Jayden – oder war es Korhonen – nicht etwas von einem DPA-Psychologen gesagt?
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