Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Anrufer dringend persönlich mit ihm sprechen wollte und sich nicht abwimmeln ließ.
»Wie heißt er?«
»Das wollte er mir nicht sagen, aber ich soll Ihnen das Stichwort ›St. Paul’s Chapel‹ nennen.«
»Stellen Sie ihn durch.«
»Hallo?«, sagte eine Stimme.
»Ich bin am Apparat.«
»Director Moore, auf der Straße, die von Brooklyn nach Oakville führt, wo die Rallye stattfindet, gibt es etwas, das Sie interessiert.«
»Was soll das sein?«
»Fahren Sie hin, dann werden Sie es herausfinden.«
»Wo genau dort? Das sind mehrere Meilen!«
»Fahren Sie einfach. Nach ein paar Meilen kommt eine kleine Nebenstraße, eine Sackgasse, dort finden Sie, was Sie suchen.«
»Meinen Sie nicht, dass Sie es langsam übertreiben? Ich hab jedenfalls keine Lust mehr auf dieses Spielchen.« Sein Ton war verärgert und zugleich kalt wie Stahl.
»Sagen Sie das nicht, Director Moore. Sie müssen mich verstehen. Im Leben geht es eben oft anders, als wir es uns wünschen. Und im Moment kann ich nicht mehr tun.«
»Wissen Sie was, ich …«
Er hörte ein Klicken, die Verbindung war unterbrochen.
Moore starrte lange ausdruckslos auf das Telefon, dann flüsterte er: »Verdammter Hurensohn!« Er drückte wieder die Anruftaste und wählte die Nummer seines Büros.
»Hast du den Anruf zurückverfolgen können?«, fragte er.
»Ja, ein öffentliches Telefon in Brooklyn.«
»Danke.«
»Soll ich einen Wagen hinschicken, Director?«
»Ja«, antwortete er, wenn ihm auch seine Zweifel am Sinn dieser Aktion deutlich anzumerken waren. Das Gespräch war sehr kurz gewesen, und der Anrufer befand sich garantiert nicht mehr an Ort und Stelle.
Carracci war dabei, die Fakten zu rekapitulieren.
Es war fünf Uhr nachmittags, und die Besprechung in den Räumen der DIA Reggio Calabria hatte seit einer Weile begonnen. Auch ein paar Capitani von den Carabinieri waren anwesend, die über beträchtliche Erfahrungen und Kenntnisse bezüglich der Hauptstandorte und Mitglieder der ’Ndrangheta verfügten, sodass sie quasi als das historische Gedächtnis der Ermittlungszentrale galten.
Einer von ihnen ergriff nun das Wort. Es war Capitano Pasquale Foti, vierundvierzig Jahre alt, dunkle Gesichtsfarbe und dunkle, soldatisch kurz geschnittene Haare. Er berichtete von einem Kollaborateur der Justiz, der angegeben habe, dass die Kokainlieferungen per Schiff aus Kolumbien kämen und unter der Leichtladelinie versteckt seien.
»Entschuldigen Sie, das habe ich nicht ganz verstanden, wo wird das Kokain versteckt?«, unterbrach ihn Carracci skeptisch und neugierig zugleich.
»Im Hohlraum des Ruders. Um vom Schiffsinnern dorthin zu gelangen, muss man eine Lukenklappe entfernen, während man von außen Froschmänner braucht.«
»Verstehe«, sagte Carracci, doch sein Ton strafte die Antwort Lügen. Im Grunde hielt er das für völligen Schwachsinn. Er deutete ein Kopfschütteln an und hörte Foti mit sichtlichem Zweifel zu.
»Die Drogen«, fuhr der Capitano fort, »werden von außen eingeladen und verankert, indem man die Behälter mit einer Synthetikschnur festbindet.« Er hielt kurz inne, um einen Schluck Wasser zu trinken, wobei die Amerikaner miteinander scherzten. Vielleicht hielten sie das Ganze ebenfalls für Schwachsinn.
Foti setzte seine Ausführungen fort und erklärte, dass das Kokain in Päckchen aufgeteilt und in Kunststoffbehälter verpackt werde.
»Wie sehen diese Behälter aus?«, wollte Carracci wissen.
»Wie die Schläuche von Lastern oder Traktoren.«
»Und wie werden sie wieder entnommen?«
»Mit Froschmännern.«
Ein völlig neues Verfahren nach dem Wissensstand der italienischen Drogendezernate. Oder nur die Schnapsidee eines Informanten.
»Besteht die Möglichkeit, Kontakt zu diesem Zeugen aufzunehmen? Eventuell könnte er uns weitere Details liefern, falls wir der Sache nachgehen«, schlug Carracci vor, der sich angestrengt bemühte, seine wahre Meinung zu verschleiern.
»Er hält sich an einem uns unbekannten, geschützten Ort auf. Wir könnten ihn aber nach Genehmigung durch den Oberstaatsanwalt treffen«, mischte sich Trimarchi ein.
»Ich denke, das könnte sich lohnen«, bemerkte Carracci.
»Dann werden wir noch heute das entsprechende Gesuch beim Staatsanwalt einreichen.«
»Schön und gut, Colonnello, aber heute ist Sonntag.«
»Wir werden es ihm zu Hause zustellen lassen. Er ist immer erreichbar, da gibt es kein Problem.«
Trimarchis Ausdruck schien zu besagen: Bei uns in Kalabrien kennen wir keine Feiertage
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