Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Ferrara einen Blick zu und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Und wer sind diese Informanten?«, fragte Ferrara.
»Dottore, woher soll ich das wissen? Jetzt verlangen Sie wirklich zu viel von mir. Sie überschätzen mich.«
»Also gut. Wir danken Ihnen, Spina, das reicht«, griff Foti ein.
Endlich etwas Konkretes, dachte Ferrara, als Spina in Begleitung von zwei Beamten hinausging.
Carracci äußerte sich mit keinem Wort. Während des gesamten Gesprächs hatte er demonstrativ kühle Gleichgültigkeit an den Tag gelegt und etwas abseits auf einem Sessel des Besucherbereichs gewartet, als würden ihn die Aussagen kaum interessieren.
Vielleicht, weil der von Spina verwendete Jargonausdruck Canarini noch im Raum nachhallte?
»Dottor Carracci, für Sie hat er natürlich Zeit. Klopfen Sie einfach an und treten Sie ein.«
Die persönliche Assistentin des Polizeichefs Armando Guaschelli kannte ihn gut und wusste auch um das besondere Verhältnis zwischen ihrem Vorgesetzten und Carracci. Ihr war bekannt, dass er einer der Protegés des Chefs war und nicht im Vorzimmer zu warten brauchte, noch nicht einmal für ein paar Minuten.
Weniger als eine Stunde nach der Zusammenkunft in der DIA fand sich Carracci im zweiten Stock des Innenministeriums ein.
Er klopfte und ging hinein. Guaschelli blickte von den auf seinem Schreibtisch verstreuten Unterlagen auf. Sobald er Carracci erkannte, erhob er sich und kam ihm mit gewinnendem Lächeln entgegen. Der Polizeichef maß kaum mehr als einen Meter sechzig, was bei vielen, die ihm zum ersten Mal begegneten, Erstaunen auslöste: »Wie ist der bloß in den Polizeidienst gekommen? Immer diese Günstlinge mit ihrem Vitamin B!«
»Schön, dich zu sehen, Stefano. Setzen wir uns dorthin.« Guaschelli deutete auf ein langes schwarzes Sofa, von dem aus man ein Stück der Piazza del Viminale erkennen konnte. »Was hast du mir zu erzählen?«
Sein Ton war wie gewohnt vertraulich, fast familiär.
Carracci berichtete ihm vom Fortgang der Ermittlungen.
»Stefano, ich rate dir, kümmere dich persönlich um diesen Fall, ich betone, persönlich . Lass ihn dir nicht von den Leuten dieses Commissario aus der Hand nehmen. Du verstehst schon, ich spreche von diesem Ferrara, der uns bereits genug Ärger beschert hat.« Er legte ihm einen Arm um die Schulter.
Carracci nickte. »Keine Sorge, Chef«, versicherte er ihm.
Carracci war einer der wenigen, die ihn mit »Chef« anredeten. Für die anderen war Armando Guaschelli »Eccellenza«, Seine Exzellenz. Das sagte schon viel.
Dann schilderte er ihm die Begegnung mit Annunziato Spina, und Guaschelli wurde sehr aufmerksam. Sein hageres, blasses Kettenrauchergesicht nahm plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an.
»Du musst mich über diesen Russo unbedingt auf dem Laufenden halten, mir jede Neuigkeit berichten, auch über die Canarini«, wies er Carracci mit Nachdruck an. »Ebenso über andere Informantentätigkeiten und mögliche Mafia-Kronzeugen. Ich darf mir beim Minister keinerlei Blöße geben …«
»Selbstverständlich, Capo.«
»Stefano, wir müssen die Gehässigkeiten, die Gemeinheiten, das Staubaufwirbeln vermeiden, wie es sonst in solchen Fällen an der Tagesordnung ist. Du kennst das. Diese Kronzeugen sind eine unangenehme Sorte«, schloss Guaschelli. Denn er kannte sich mit Kronzeugen aus, und das nicht zu knapp. Anschließend flüsterte er Carracci etwas ins Ohr.
»Ja, einverstanden … Sie können sich auf mich verlassen«, beruhigte ihn Carracci.
»Jetzt flieg nach Kalabrien zurück.«
»Ich nehme den ersten Flug morgen früh, Chef.«
Beim Abschied umarmten sie sich.
Die persönliche Assistentin zwinkerte Carracci verschwörerisch zu, als er an ihr vorbeiging.
New York
Dick Moore sah zu den drei Statuen auf, die das Gesetz, die Wahrheit und die Gleichheit verkörperten, ein Werk von Warren Allen. Sie standen an den Ecken des Frontgiebels über den zehn korinthischen Granitsäulen, in den die Worte George Washingtons eingemeißelt waren: »The true administration of justice is the firmest pillar of good government« – Eine gute Rechtsprechung ist die stärkste Säule guter Regierungsarbeit.
Es war kurz vor zwölf Uhr mittags, und er stand vor der 60 Centre Street, dem New York State Supreme Court, dem obersten Gericht des Staates New York. Dort war er mit Ted Morrison verabredet. Als er seinen Blick wieder nach unten gleiten ließ, sah er ihn. Morrison hatte die Säulen schon passiert, kam schwungvoll die
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