Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
sarkastische Stimme: »Da ist er ja! Da haben wir den Fuchs vom Aspromonte! Seht nur, jetzt ist nicht mehr viel übrig von seiner Überlegenheit. Dabei hat er geglaubt, über alles Bescheid zu wissen, ha ha ha!« Er fixierte die Gestalt genauer und sah, dass sie eine dunkle Kapuze auf dem Kopf trug. Vor allem aber bemerkte er den Gegenstand in ihren Händen: ein Gewehr mit abgesägtem Lauf. Das auf ihn angelegt war. Dann ein Knall …
Commissario Ferrara zuckte im Bett zusammen und wachte auf. Er lag in seinem Hotelzimmer. Schweißgebadet. Er knipste die Nachttischlampe an und blickte flüchtig in den Spiegel. Sein Gesicht war kreideweiß. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Blinzelte. Ein Albtraum, und was für einer! Die Gespenster der Vergangenheit kehrten zurück. Sein Mund war trocken, das Zimmer drehte sich um ihn. Langsam stellte er die Füße auf den Boden und stand auf.
Er nahm eine Flasche Wasser aus der Minibar und trank sie in einem Zug aus. Sogleich fühlte er sich besser. Im Grunde maß er Träumen weniger Bedeutung bei als die meisten Menschen.
Er öffnete für einen Augenblick das Fenster und schautehinaus. Es war dunkel, nur auf dem Meer waren vereinzelte kleine Lichter von Schiffen zu sehen, die die Meerenge durchquerten. Er atmete tief die Salzluft ein, doch dann schlug ihm die Feuchtigkeit, die der Wind vom Meer herübertrug, entgegen, und er schloss das Fenster wieder. Schnell schlüpfte er unter die Bettdecke, während ihm Petras letzte Worte am Abend in den Sinn kamen: »Sei vorsichtig, Schatzi.«
Dann schlief er wieder ein.
Commissario Ferrara wartete im Foyer auf seinen Fahrer.
Es war kurz vor acht Uhr morgens, und der nächtliche Albtraum hatte sich verflüchtigt. Er hatte tief und fest geschlafen, bis Petra ihn gegen sechs mit ihrem Anruf geweckt hatte. Sie wollte ihm einen erfolgreichen Tag wünschen, ihm aber vor allem noch einmal ans Herz legen, gut auf sich aufzupassen. Eine Fürsorglichkeit, um derentwillen er sie noch mehr liebte.
Dann hatte er als einer der ersten Gäste in dem kleinen Saal im Erdgeschoss gefrühstückt, an einem Tisch für zwei Personen neben einem großen Fenster, das auf die Strandpromenade hinausging. Immer wieder hatte er zur sizilianischen Küste hinübergeblickt und Heimweh empfunden. Seit Langem hatte er seine Heimatstadt Catania nicht mehr besucht, nicht einmal für ein paar Tage.
Die mit Puddingcreme gefüllten Minicroissants und die weichen Brioches hatten ihm gefehlt. Ein guter Cappuccino und ein Espresso hinterher hatten seine Lebensgeister geweckt.
Nur einmal war er beim Frühstück abgelenkt worden, alsdas Geheul mehrerer Polizeisirenen in den ruhigen Saal gedrungen war, beinahe wie um auf die Präsenz des Staates in der Region hinzuweisen.
Unterdessen telefonierte Colonnello Trimarchi schon an seinem Schreibtisch, um die letzten Fragen zum Einsatz zu klären.
Auf einmal klopfte Foti an die offen stehende Tür und kam mit leuchtenden Augen herein. In der Hand hielt er ein Blatt Papier.
»Ruft mich an, wenn alles bereit ist«, sagte der Colonnello und verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner. Er legte auf und sah den Capitano neugierig an.
»Entschuldigen Sie, Signor Colonnello.«
»Was gibt’s, Foti?«
»Die Kollegen vom Observierungsposten haben gerade angerufen.«
Der Colonnello lehnte sich gegen die Stuhllehne und streckte sich, wie es seine Gewohnheit war, und bedeutete Foti zu berichten. Foti fuhr also fort: »Heute Morgen, noch vor sieben, ist ein Auto auf den Gutshof gefahren. Unsere Leute glauben, dass es sich um den bereits bekannten Wagen handelt.«
»Den BMW ?«
»Gut möglich. Aber die eigentliche Neuigkeit, Signor Colonnello, ist, dass bisher noch nie zu so früher Zeit Besucher aufgetaucht sind.«
»Und die Beobachtungsposten halten es für wahrscheinlich, dass es derselbe Wagen ist, mit dem Prestipino abgeholt wurde?«
»Ja, Signor Colonnello.«
»Wie viele Personen waren darin?«
»Zwei. Sie sind ins Haus gegangen und noch nicht wieder herausgekommen.«
»Könnte also sein, dass sie Prestipino wegbringen«, mutmaßte Trimarchi, schüttelte dann aber zweifelnd den Kopf. »Sag unseren Leuten vor Ort, dass sie gut aufpassen und uns sofort Bescheid geben sollen, wenn sich etwas tut. Denn dann müssten wir möglicherweise unsere Pläne ändern.«
»Wird gemacht, Colonnello.«
In diesem Moment traf Commissario Ferrara ein. Er trug einen hellgrauen Anzug und hatte einige Zeitungen unter den Arm
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