Bluttrinker (German Edition)
„Als er noch klein
war.“
Margarethe stutzte nur einen Augenblick.
„So, gestorben? Na ja. Man weiß ja nicht, welche Möglichkeiten solchen Leuten
offenstehen. Brutal genug muss dieser Kerl ja sein, in seinem Beruf.“
„Was?“ Tony schnappte nach Luft. Margarethe stand vor ihr, rang erregt die
Hände, während ihr Gesicht heiligen Zorn ausstrahlte.
Plötzlich musste Tony lachen. Es war ein ungläubiges Geräusch.
„Du unterstellst, einfach so, einem Menschen, den du kaum kennst, dass er ein
Mörder ist?“
Offenbar begriff sogar Margarethe, dass sie sich vergaloppiert hatte. Sie
ruderte zurück.
„Ich sage nur, dass dieser Lukas sich in ein paar Jahren wahrscheinlich nach
etwas jüngerem umsehen wird. Wie der Vater so der Sohn. Und was wirst du tun,
wenn du dann dastehst, ohne Heim und ohne Familie. Wir werden nicht immer für
dich da sein können, Antonia!“
Tony seufzte. Im ersten Moment wollte sie Margarethe noch einmal darauf
hinzuweisen, dass Johann die Mutter seines Sohnes keineswegs gegen eine Jüngere
eingetauscht hatte.
Aber was sollte das bringen? Selbst wenn Tony sie dazu brachte, die
Einzelheiten dieser Geschichte zur Kenntnis zu nehmen?
Was hier ablief, war nur eine weitere Variante tausender sinnloser Gespräche,
die sie mit ihrer Mutter geführt hatte. Tony war dieser fruchtlosen Anstrengung
so müde.
„Also schön, Mama. Du hast gesagt, was du sagen wolltest.“
Tony stand auf. Margarethe blockierte noch immer die Tür zum Flur und wirkte
verblüfft, als ihre Tochter die entgegengesetzte Richtung einschlug.
„Ich bin noch nicht fertig, junge Dame!“
„Aber ich bin fertig, Mama. Ich hab endgültig genug von deinen Anschuldigungen
und deinen ständigen Manipulationen. Lass mich in Ruhe! – Ich muss aufs Klo!“
Tony eilte ins Badezimmer und verschloss die Tür hinter
sich. Nach Atem ringend lehnte sie sich von innen dagegen, als könnte sie dem
Schloss allein nicht trauen.
Eigentlich hatte sie noch viel mehr sagen wollen. Dass ihre Mutter sich aus
ihrem Leben raushalten sollte, zum Beispiel. Doch ganz plötzlich hatte sie der
Mut verlassen.
Sie blieb so lange im Bad, bis sie fürchtete, jemand könnte
nach ihr suchen. Als sie schließlich die Tür öffnete, war die Luft rein. Die
Schlafzimmertür stand einen Spalt weit offen.
Tony atmete tief durch und ging zurück ins Wohnzimmer. Niemand sonst schien
etwas bemerkt zu haben. Nur Margarethe vermied es während des ganzen weiteren
Abends, sie auch nur anzusehen.
31
Gegen zwanzig Uhr dreißig klingelte Johanns Handy.
„Entschuldigen Sie bitte“, wandte er sich an Tonys Eltern, während er die
Nachricht abrief. „Ich muss leider jederzeit erreichbar sein. – Ich müsste kurz
deinen PC benutzen, Lukas. Nein, bleib nur sitzen, ich finde mich schon
zurecht. Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment. Die Pflicht ruft.“
Das Ehepaar Lemberg nutzte diese Gelegenheit, seinen Abgang
zu machen.
Der Abschied fiel wesentlich kürzer und unsentimentaler aus, als Tony
befürchtet hatte. Zum einen lag es wohl daran, dass Nora und Lukas mithören
konnten. Zum anderen wollte Tonys Vater offenbar verschwunden sein, bevor
Johann zurückkehrte.
Wahrscheinlich ist es besser so , dachte Tony. Eine
sonderbare Mischung aus Erleichterung und Verlust erfüllte ihr Herz, als ihr
klar wurde, dass Noras Plan aufgegangen war.
Sie war sicher, dass ihre Mutter in Zukunft sehr viel seltener anrufen würde.
Dieser Abend hatte klargestellt, dass Tony einen Weg gefunden hatte, den sie
gehen würde. Nichts, was Margarethe tat, vermochte daran etwas zu ändern.
Kaum waren die Lembergs verschwunden, stieß Nora einen
tiefen Seufzer aus.
„Du hast nicht zufällig etwas für den Magen greifbar, Tony? Kurz nach dem
Aufstehen so üppig zu essen bekommt mir einfach nicht.“
Für Nora waren die Lachsterrine, die Entenbrust und das Mango-Tiramisu anstelle
des Frühstücks getreten. Kein Wunder, wenn ihr Magen rebellierte.
Wie die beiden Vampire es geschafft hatten, den Eindruck zu
erwecken, sie würden ebenfalls essen war Tony schleierhaft. Dabei hatte sie die
Männer die ganze Zeit vor Augen gehabt.
„Im Medizinschränkchen sind Tabletten ...“ Tony wollte
aufspringen, aber Lukas hielt sie zurück.
„Lass nur, ich geh schon.“
Unterwegs spähte er in die halb geöffnete Tür seines Arbeitszimmers. Johann
sprach mit jemandem über die Konferenzschaltung. Beide Stimmen klangen wenig
erfreut.
Lukas brachte seiner Mutter die Magentabletten und kehrte zum
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