Blutwahn - Der Schrecken am See
Scheinwerfer links neben der Gegenfahrbahn etwas gesehen. Es hatte ausgesehen, als würde dort jemand liegen. Walter trat auf die Bremse. Vielleicht hatte er sich auch geirrt. Wenn man fast 20 Stunden auf den Beinen war, konnten einem die Augen schon mal einen Streich spielen. Er wendete sein Taxi, fuhr ein Stück zurück und parkte am Straßenrand. Da liegt tatsächlich jemand , dachte Walter und stieg aus seinem Fahrzeug. Die Scheinwerfer ließ er eingeschaltet. Im hohen Gras am Rand der Straße lag, wie es aussah ein Frauenkörper mit langen schwarzen Haaren und einem weißen Oberteil. Walter ging darauf zu und hoffte, dass es sich nur um eine Betrunkene handelte. Das fehlte ihm noch, dass er hier eine Leiche entdeckte – dann wäre er vor dem Morgen nicht zu Hause. Aber es war doch sehr unwahrscheinlich, das hier im friedlichen Allgäu irgendwelche Tote in der Gegend herumlagen, nahm Walter an. Dann stand er vor dem reglos auf dem Bauch liegenden Körper und ein unbehagliches Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Lebendig sieht die nicht gerade aus .
„Hallo?!“, rief er.
Keine Reaktion. Er bückte sich und drehte die Frau vorsichtig auf den Rücken. Was er zu sehen bekam, versetzte ihn in pures Entsetzen. Die rechte Gesichtshälfte war ein einziges tiefes Loch, das mit geronnenem Blut gefüllt war. Auch der Hals und der Oberkörper waren mit grässlichen Wunden übersät.
„Heiliger Jesus“, flüsterte Walter. Was ist denn hier passiert?
Er würde über Funk den Notruf verständigen müssen. Doch plötzlich stöhnte die Frau auf und bewegte leicht ihren Kopf. Walter erschrak. Offenbar war sie noch am Leben. Dann öffnete sie ihre Augen und Walter zuckte zurück. Diese Augen hatten nicht mehr viel menschliches an sich – sie wirkten ausdruckslos und tot. Walter bekam es mit der Angst zu tun, irgendwas stimmte hier nicht. Er wollte abhauen, doch von einem lauten, bösartigen Fauchen begleitet richtete sich die Frau abrupt auf, packte ihn am Hals und rammte ihre Zähne in sein Gesicht. Warmes Blut lief Walter in den Mund, als er anfing zu schreien. Er registrierte voll ungläubigem Entsetzen, dass er keine Nase mehr hatte, als die Frau sich auf ihn stürzte. Sie riss ihr Maul erneut auf, stieß ein tiefes Grollen aus und Walter sah, dass sich ihre intakte Gesichtshälfte sowie ihre Stirn und Nase gräulich verfärbten und sich fingerdicke, dunkle Poren darauf bildeten. Dann ließ sie ihren Kopf auf ihn niedersausen und bohrte ihre Zähne in seinen Hals. Unsäglicher Schmerz machte sich in Walter breit und bevor er das Bewusstsein verlor, dachte er merkwürdigerweise für einen kurzen Moment an Eintopf.
22
Jana wusste nicht genau, wie lange sie mit dem leblosen Philipp in den Armen einfach nur dagelegen und geweint hatte. Irgendwann war ihr Tränenfluss verebbt und die Gedanken der vollkommenen Verzweiflung waren langsam einer apathischen Leere gewichen. Sie konnte und wollte noch gar nicht richtig begreifen, dass sie gerade den wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren hatte. Eine innere Stimme - vielleicht ein Überlebensinstinkt - bewegte sie dazu, Philipp loszulassen, sich aufzusetzen und daran zu denken, dass sie hier raus musste. Sie stand langsam vom Bett auf, als sie plötzlich etwas hörte. Sie erschrak und wirbelte herum. Ihr war, als hätte sie ein leises Stöhnen von Philipp vernommen. Waren die ganzen schrecklichen Ereignisse zu viel für ihren Verstand gewesen, sodass sie jetzt halluzinierte? Sie starrte auf den reglos im Bett liegenden Philipp hinab. Plötzlich ging ein leichtes Zucken durch dessen Körper. Das konnte doch nicht sein, aber das hatte sie sich jetzt definitiv nicht nur eingebildet. Eine plötzliche Hoffnung keimte in Jana auf.
„Philipp?!“
Sie berührte vorsichtig seine Schulter. Er gab ein leises, kehliges Stöhnen von sich. Die ersten Anflüge einer grenzenlosen Erleichterung machten sich in Jana breit. Philipp lebte! Anscheinend war er nur vorübergehend in eine Art komatösen Zustand gefallen.
„Philipp? Hörst du mich?“
Philipp öffnete seine Augen und der Schreck fuhr Jana durch Mark und Bein. Diese Augen, dieser Blick – irgendetwas stimmte nicht. Sie wich entsetzt zurück. Auf einmal hob Philipp den Kopf und stieß ein animalisches Fauchen aus. Jana stand am Eingang des Schlafzimmers und schaute erschüttert auf das Bett. Fassungslosigkeit und Grauen erfüllten sie. Das darf doch nicht wahr sein .
„Oh, nein, bitte nicht“, entfuhr
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