Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
Vom Netzwerk:
sich nichts Menschliches. Die Bäume schwankten immer noch wild hin und her, das Gras wogte, auf dem Rasen bildeten sich Pfützen, die Bäche traten über die Ufer, das Licht des Leuchtturms auf der anderen Seite des Sunds blinkte von Ocracoke herüber und der Knoten in meinem Bauch wuchs mit der zunehmenden Dunkelheit.
    »Andrew?«, rief sie. Ich drehte mich um – sie war jetzt nur noch ein Schatten auf dem Boden, die Kirche war ganz in die Abenddämmerung getaucht. »Bitte sprich mit mir.«
    Ich kehrte zu Violet zurück und setzte mich auf die vorderste Bank.
    »Hast du Angst vor mir?«, fragte ich.
    »ja.«
    »Ich würde dir gerne erzählen, was mir zugestoßen ist.«
    »Ich möchte es wissen.«
    Ich hatte den Verdacht, dass sie nur versuchte, mich friedlich zu stimmen, aber ich erzählte es ihr trotzdem. Alles. Selbst was in der Wüste passiert war. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubte, aber sie hörte zu, und am Ende meiner Erzählung war meine Stimme nur noch ein leises Flüstern. Wenn deine einzige verbale Kommunikation aus unbedeutendem Tratsch mit Fremden besteht, verkümmert irgendwann auch die Stimme.
    Aber sie hörte zu. Ich fragte sie nicht, ob sie mir glaubte. Ich bin versucht zu behaupten, dass es keine Rolle spielte, aber das stimmt nicht. Wirklich wichtig war jedoch, dass ich jemandem die Wahrheit erzählt hatte.
    Die Erleichterung ist unvorstellbar.

43. Kapitel
     
    Violet hatte sich jetzt in meinem Schlafsack aufgesetzt und lehnte am Geländer, das die Bänke vom Altar trennte. Ich schaffte es, den mit Propangas gefüllten Whisper-Lite-Campingkocher anzuwerfen. Er stand im Gang zwischen den Bänken und das Wasser im Topf begann gerade über der blauen Flamme zu kochen.
    Ich riss zwei Packungen Lasagne auf und legte das gefriergetrocknete Mahl neben den Kocher. Mit dem Topfgriff hob ich den Deckel. Eine Wasserdampfwolke befeuchtete mein Gesicht. Ich legte den Deckel ab und goss das kochende Wasser in die Lasagne-Packungen. Nachdem die Lasagne zehn Minuten gegart hatte, aßen wir. Die Kirche war inzwischen vollständig dunkel, aber ich hatte im Erste-Hilfe-Kasten eine Kerze gefunden, sie angezündet und auf den Boden zwischen uns gestellt.
    »Nicht schlecht, oder?«, fragte ich.
    »Richtig gut.«
    Der Regen hatte nachgelassen. Der Wind war schwächer geworden. Eine bewölkte Nacht auf einer Insel ohne Strom ist Dunkelheit pur.
    »Seit wann bist du bei der Polizei?«, wollte ich wissen.
    »Anderthalb Jahre.«
    Ich stellte die heiße Packung ab und trank einen Schluck aus der Wasserflasche.
    »Vorhin im Auto hast du gesagt, du bist schwanger.«
    Heftiges Luftholen. Unterdrückte Tränen. Violet schaute zu Boden, als sie sprach. Ihre Stimme war erneut brüchig.
    »Schau, ich kann jetzt nicht über Privates reden, okay? Es sei denn, du willst, dass ich komplett zusammenbreche, bitte…«
    Ich betrachtete sie im Kerzenschein. Wunderschön. Immer noch ein Kind. Hätte irgendwo studieren können. Sie wischte sich mit den Ärmeln der Fliesjacke über die Wangen. Ich überlegte, ob sie wohl wusste, in welcher Gefahr sie schwebte.
    Sie aß die Lasagne auf und fand wieder in den unpersönlichen, offiziellen Tonfall zurück, der sie zur Polizistin machte. »Du hast gesagt: Wir sind beide aus demselben Grund nach Ocracoke gekommen. Hast du da Mr Kite gemeint?«
    »Ja, ich bin hierher gekommen, um ihn zu finden. Die Frau, die man erhängt am Bodie-Island-Leuchtturm gefunden hat – ich kannte sie. Und Beth Lancing, die Nachbarin der Worthingtons, die entführt worden ist – sie war die Frau meines besten Freundes, von dem ich dir erzählt habe – Walter. Ich glaube, dass Luther die Familie nur umgebracht hat, um mehr Aufmerksamkeit auf Beth Lancings Entführung zu lenken. Und aus dem gleichen Grund hat er auch Karen Prescott am Leuchtturm erhängt. Diese Morde waren so öffentlich. Er wollte, dass ich davon höre. Er wusste, ich würde wissen, dass er es war. Es waren keine gedankenlosen Lustmorde. Ich denke vielmehr, die Morde wurden ausgeführt, um mich zu ihm zu führen oder zumindest in seine Nähe. Und das ist es, was mir jetzt Angst macht. Weißt du, meine größte Angst ist, dass Luther wissen könnte, dass ich hier bin.«
    »Was meinst du mit ›hier‹? In dieser Kirche?«
    »Nein, Ocracoke. Gott steh uns bei, wenn er weiß, dass wir auf dieser Insel sind.«
    »Andrew, warum sind wir auf dieser Insel?«
    »Nun, seit du in mein Leben getreten bist, frage ich mich das auch. Fühlst du dich etwas

Weitere Kostenlose Bücher