Bodenlose Tiefe
der Reling stehen.
Dann drehte er sich um und kam auf sie zu.
»Also gut«, sagte er knapp. »Es besteht die Chance, dass Sie es schaffen, aber es ist sicherer für Sie, wenn Kelby und ich eingeweiht sind. Und wir brauchen ein Ablenkungsmanöver. Ich nehme es auf meine Kappe.«
Erleichtert atmete sie auf. »Wo soll ich den Sprengsatz hinwerfen?«
»In den Maschinenraum oder die Kombüse. In beiden befinden sich Gasflaschen, die sich zur Explosion bringen lassen.«
»Und wie soll ich den Sprengsatz transportieren?«
»In der Sohle Ihres rechten Schuhs. Es gibt einen Zündschalter, wenn Sie den betätigen, haben Sie fünfzehn Sekunden Zeit, den Sprengsatz loszuwerden. Sie müssen also verdammt schnell und geschickt sein. Wir können nur beten, dass Archer Sie nicht allzu gründlich durchsucht.«
»Ich denke, ich weiß, wie ich das verhindern kann.« Sie lächelte bitter. »Ich bin auf meine eigene Ablenkungstaktik eingestellt.« Sie streifte ihre Schuhe ab. »Machen Sie sich an die Arbeit, Nicholas.« Sie wandte sich zum Gehen. »Ich werde in meine Kabine gehen und ein paar Vorbereitungen treffen.«
»Und fangen Sie schon mal an zu beten. Ihre Chancen, das zu überleben, stehen etwa fünfzig zu fünfzig.«
Seine Stimme klang kühl und ausdruckslos.
Sie sah ihn über die Schulter hinweg an. »Das scheint Sie ja zutiefst zu beunruhigen.«
»Ich werde mich schon noch früh genug aufregen, und zwar, falls er Sie tötet. Dann werde ich ihn höchstpersönlich ins Jenseits befördern. Aber jetzt, nachdem ich eine Entscheidung getroffen habe, kann ich mir keine Gefühle leisten. Wir müssen diese Sache erledigen und zusehen, dass wir alle am Leben bleiben.« Er hob ihre weißen Schuhe auf. »Ich werde sie präparieren. Die Sohlen sind schön dick. Das ist unser Glück.«
Er machte sich auf den Weg in seine Kabine. »Und wir werden alles Glück brauchen, das wir kriegen können.«
Ihr war übel.
Nicht in den Spiegel sehen. Nicht darüber nachdenken.
Einfach nach oben an Deck gehen und mit Nicholas reden.
Er stand an der Reling, direkt neben dem Beiboot. »Ich habe Ihre Schuhe geputzt. Niemand würde je auf die Idee kommen –
O Gott.« Seine Augen weiteten sich.
»Was zum Teufel soll diese Verkleidung? Wollen Sie Halloween spielen?«
Mit zitternden Fingern berührte sie das weiße Organzakleid mit hoch angesetzter Taille. »Nein, aber ein Horrorelement ist durchaus damit verbunden. Das Kleid ist ein Geschenk von Archer. Ein Kinderkleid in Erwachsenengröße. Sie werden mir die Hände fesseln, den Brief, den wir geschrieben haben, an dieses widerliche Kleid heften und mich mit Grüßen von Kelby bei Archer abliefern.« Sie schluckte. »Er wird wissen, wie schrecklich es für mich sein musste, dieses Kleid anzuziehen. Er wird annehmen, dass ich es niemals freiwillig getan habe, sondern dass Kelby mich dazu gezwungen hat.«
»Meine Fresse.«
»Erstens wird diese Verkleidung zur Glaubwürdigkeit meiner Auslieferung beitragen. Zweitens wird es Archer mit Sicherheit ablenken, wenn er mich in diesem Aufzug erblickt. Er wird triumphieren. Er wird vor Geilheit sabbern. Er steht auf kleine Mädchen.« Sie holte tief Luft und schlüpfte in die weißen Schuhe, die er ihr gereicht hatte. »Und jetzt lassen Sie uns aufbrechen. Ich will so schnell wie möglich wieder aus diesem Kleid raus.«
»Wir können nicht näher ranfahren, ohne dass sie uns sehen«, sagte Nicholas und schaltete den Motor ab. Er setzte sich und betrachtete Archers Schiff, das in der Dunkelheit weiß schimmerte. »Das ist Ihre letzte Chance, die Sache abzublasen.
Sind Sie sicher, dass Sie das durchziehen wollen?«
»Ganz sicher.« Sie hielt ihm ihre Hände hin. »Los, fesseln Sie mich, und zwar fest. Aber achten Sie darauf, dass ich meine Armbanduhr noch sehen kann.«
Er nahm das Seil, das er mitgebracht hatte, und fesselte ihre Handgelenke. »Das ist abartig, Melis.«
»Archer ist abartig.« Großer Gott, der Anblick des Schiffes machte ihr Angst. Das Organzakleid, die gefesselten Hände, das Gefühl der Hilflosigkeit. Sie konnte beinahe die Trommeln im Kafas hören. Am liebsten hätte sie geschrien – oder gewimmert.
Aber sie war nicht hilflos. Sie tat das alles aus freien Stücken.
Also brachte sie es am besten so schnell wie möglich hinter sich.
»Noch eins, Nicholas. Schlagen Sie mich nieder.«
»Wie bitte?«
»Schlagen Sie mich. Sorgen Sie dafür, dass Sie mir ein paar blaue Flecken verpassen, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
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