Body Farm
stand kurz davor, für ein furchtbares Verbrechen gelyncht zu werden, das er nicht begangen hatte. Mote würde krankheitshalber in den vorzeitigen Ruhestand treten. Und Ferguson war tot.
Das Böse breitete sich aus wie ein Baum, dessen Äste mein Inneres verdunkelten. Wo dieses Böse begonnen hatte und wo es enden würde, ließ sich nicht sagen; auch fürchtete ich eine zu genaue Analyse dieses Problems, weil es mich an einer Stelle vielleicht schon eingeholt hatte. Ich mochte den Gedanken nicht, daß ich keinen Boden mehr unter den Füßen haben sollte.
»Ma'am, kann ich noch etwas für Sie tun?« Vage wurde mir bewußt, daß der Fahrer mit mir sprach. Ich schlug die Augen auf. Wir standen vor dem Travel-Eze, und ich hätte nicht einmal sagen können, wie lange schon.
»Ich wecke Sie ja nicht gern. Aber es wäre viel bequemer für Sie, ins Bett zu gehen, statt hier draußen zu sitzen. Und vielleicht auch billiger.«
Am Empfang begrüßte mich wieder der strohblonde Angestellte und checkte mich ein. Als er fragte, welche Seite des Motels ich vorzöge, fiel mir ein, daß man von einer Seite den Blick auf Emilys frühere Schule hatte, von der anderen die Aussicht auf die Interstate. Die Berge sah man von allen Seiten; tagsüber leuchteten sie hell, nachts hoben sie sich schwarz gegen den Sternenhimmel ab.
»Einfach irgendein Nichtraucherzimmer. Ist Pete Marino noch hier?« fragte ich.
»Sicher. Aber er kommt nicht oft vorbei. Wollen Sie ein Zimmer in seiner Nähe?«
»Nein, lieber nicht. Er raucht, und ich möchte so weit entfernt von ihm sein wie möglich.« Natürlich war das nicht der wahre Grund.
»Dann bringe ich Sie in einem anderen Flügel unter.«
»Das wäre nett. Und wenn Benton Wesley eintrifft, möchte er mich bitte gleich in meinem Zimmer anrufen.«
Dann bat ich den Portier noch, mir für den nächsten Morgen einen Mietwagen mit Airbag zu besorgen. Ich ging in mein Zimmer, schloß ab, legte die Türkette vor und schob einen Stuhl unter den Türknauf. Den Revolver legte ich auf den Toilettendeckel und nahm dann ein langes, heißes Bad mit einigen Tropfen meines Parfüms im Wasser. Der schwere Duft streichelte mich wie warme, liebevolle Hände, breitete sich über meinen Hals und das Gesicht aus bis hinauf zu den Haaren. Zum erstenmal seit langem überkam mich ein tröstliches Gefühl. Ab und zu ließ ich heißes Wasser nachlaufen. Die Tropfen des süßen, öligen Parfüms tanzten wie kleine Wolken auf der Oberfläche. Den Duschvorhang hatte ich zugezogen, und so lag ich lange Zeit traumverloren in dieser abgeschiedenen, duftenden kleinen Welt.
Wie oft ich meine Liebesnächte mit Benton Wesley schon durchlebt hatte, konnte ich nicht mehr zählen; auch fiel es mir schwer, mir einzugestehen, wie oft sich die se Bilder vor mein Bewußtsein geschoben hatten, bis ich nicht mehr widerstehen konnte und mich ihnen hingab. Sie waren machtvoller als alles, was ich bisher erlebt hatte. Unsere erste Begegnung hier war mir noch in allen Einzelheiten im Gedächtnis, auch wenn es nicht genau in diesem Zimmer gewesen war. Doch die Nummer jenes Zimmers hatte ich mir eingeprägt, und ich würde sie nie vergessen. Ich hatte in meinem Leben nur wenige Liebhaber gehabt, doch alle waren eindrucksvolle Männer gewesen, nicht unsensibel und in einem bestimmten Maße auch fähig zu begreifen, daß ich zwar eine Frau war, aber anders als andere. Mein Körper und meine Gefühle waren die einer Frau, doch waren sie gepaart mit der Kraft und der Dynamik eines Mannes. Wer mir Grenzen setzen wollte, setzte sie sich selbst. Und so hatten sie alle ihr Bestes gegeben, sogar mein Ex-Ehemann Tony, der der vergleichsweise am wenigsten weit entwickelte unter ihnen gewesen war, und Sexualität gestaltete sich für beide Seiten als erotischer Wettbewerb.
Wie zwei gleich starke Wesen, die sich im Dschungel getroffen hatten, waren wir aufeinander gestürzt und hatten uns ebensoviel genommen wie gegeben.
Benton jedoch war so anders, daß ich es noch immer nicht glauben konnte. Unsere männlichen und weiblichen Komponenten hatten sich auf eine nie erlebte und ungekannte Weise so ineinander verwoben, daß es schien, als sei er die andere Seite meines Ichs. Vielleicht waren wir sogar ein und dasselbe Wesen.
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, aber bestimmt hatte ich mir unser Zusammensein schon lange vorgestellt, bevor es Wirklichkeit wurde. Unter seiner harten Schale war er weich, wie ein Krieger, der zwischen mächtigen
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