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Body Farm

Body Farm

Titel: Body Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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begangen hat?«
    »Das hängt wieder davon ab, was das OPR herausfindet. Eines jedoch kann ich mit Bestimmtheit sagen: In jedem Falle hat Lucy unser Sicherheitssystem mißbraucht und daher keine Zukunft beim FBI«, sagte er.
    Mein Mund war so trocken, daß ich kaum noch sprechen konnte. »Das wird sie vernichten.«
    Müdigkeit und Enttäuschung lagen in Wesleys Blick. Ich wußte, wie sehr er meine Nichte mochte. »Während dieser Zeit«, fuhr er in dem ausdruckslosen Tonfall fort, in dem er sonst Kriminalfälle besprach, »kann sie nicht in Quantico bleiben. Ihr wurde mitgeteilt, daß sie ihre Sachen packen soll. Vielleicht kann sie bei dir in Richmond wohnen, bis unsere Ermittlungen abgeschlossen sind.«
    »Natürlich, aber du weißt, daß ich nicht immer dort sein werde.«
    »Wir stellen sie nicht unter Hausarrest, Kay«, sagte er. Für einen Augenblick wurde sein Blick wärmer, und ganz kurz erhaschte ich einen Funken von dem, was sich in der kühlen, dunklen Tiefe seiner Augen abspielte. Er stand auf.
    »Ich nehme sie heute abend mit nach Richmond.« Auch ich stand auf.
    »Ich hoffe, du bist in Ordnung«, sagte er. Ich wußte, was er meinte, und ich wußte auch, daß ich darüber jetzt nicht nachdenken konnte.
    »Danke«, antwortete ich. Gedanken schossen mir kreuz und quer durch den Kopf, wie ein heftiges Trommelfeuer, dem ich hilflos ausgeliefert war.
    Lucy zog gerade ihr Bett ab, als ich kurze Zeit später in ihr Zimmer trat. Sie stand mit dem Rücken zu mir. »Kann ich dir helfen?« fragte ich.
    Sie stopfte die Laken in den Kopfkissenbezug. »Nein«, sagte sie. »Ich komme schon allein zurecht.«
    Das Zimmer war schlicht eingerichtet, mit je zwei Einheitsbetten, Schreibtischen und Stühlen, alles aus Eichenfurnier. An Yuppie-Standards gemessen waren die Zimmer im Washington-Wohnheim öde, aber verglichen mit einer Kaserne waren sie gar nicht so schlecht. Wo mochten Lucys Wohn- und Zimmergenossinnen sein? Ob sie überhaupt wußten, was passiert war?
    »Vielleicht kannst du nur mal eben im Kleiderschrank nachsehen, ob ich auch alles habe«, sagte Lucy. »Es ist der da rechts. Und schau auch in die Schublade.«
    »Alles leer, bis auf die Kleiderbügel. Sind das deine? Diese hübsch überzogenen?«
    »Es sind Mutters.«
    »Dann nimmst du sie wohl mit.«
    »Nein. Laß sie für den nächsten Idioten hängen, der in diesem Loch endet.«
    »Lucy«, sagte ich, »es ist doch nicht Schuld des Bureau.«
    »Es ist nicht fair.« Sie kniete sich auf den Koffer, um die Schlösser zuzudrücken. »Unschuldig bis zum Beweis der Schuld?«
    »Vor dem Gesetz bist du unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Doch bis diese Verletzung des Sicherheitssystems geklärt ist, kannst du der Academy keinen Vorwurf machen, daß sie dich nicht mehr in geschützten Bereichen arbeiten läßt. Außerdem bist du nicht verhaftet. Man hat dich einfach nur gebeten, für eine Weile Urlaub zu nehmen.«
    Sie wandte sich um und sah mich an. Ihre Augen waren gerötet, ihr Blick müde. »Für eine Weile heißt für immer.«
    Wir machten uns auf den Weg nach Richmond. Als ich auf der Fahrt versuchte, mehr von ihr zu erfahren, schwankte sie zwischen Tränenausbrüchen und fahrigen Blicken, die sich in alles einbrannten, was in Reichweite war. Dann schlief sie ein, und ich wußte nicht mehr als zuvor. Draußen fiel ein kalter Regen. Ich schaltete die Nebelscheinwerfer ein und folgte den hellen Rücklichtern der Autos vor mir, die sich auf der Fahrbahn spiegelten. Ab und zu, in Kurven und Senken, verdichteten sich Regen und Nebelschwaden so sehr, daß man fast nichts mehr sah. Aber statt an den Straßenrand zu fahren und zu warten, bis es aufklarte, schaltete ich nur in einen langsameren Gang zurück und fuhr weiter in meinem fahrbaren Untersatz aus Blech, Leder und edlem Wurzelholz.
    Ich wußte nicht genau, warum ich mir meinen schwarzen Mercedes 500 E gekauft hatte, außer daß es mir nach Marks Tod wichtig erschienen war, einen neuen Wagen zu fahren. Vielleicht wollte ich dadurch meinen Erinnerungen entgehen, denn in dem früheren hatten wir uns verzweifelt geliebt und gestritten. Vielleicht war es aber auch nur, weil das Leben mit dem Älterwerden schwerer wurde und ich das Gefühl hatte, einen stärkeren Motor zu brauchen, um es zu bewältigen.
    Ich hörte, wie Lucy sich rührte, als ich nach Windsor Farms einbog, dem alten Viertel von Richmond, wo ich inmitten von stattlichen Häusern im georgianischen und im Tudorstil lebte, nicht weit vom Ufer des James.

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