Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
in der Nähe von Manchester. Kinderpsychiatrie und Kinderneurologie. Ich spielte mit dem Gedanken, in den öffentlichen Dienst zu gehen, und wollte sehen, wie das System bei den Briten funktioniert.«
»Neurologie? Ich wusste gar nicht, dass de Bosch sich für die organische Seite interessiert.«
»Das hat er auch nie. Andres war der einzige Therapeut dort, eine Art... ich hätte fast ›Hausgespenst gesagt, aber das wäre nicht fair, nein, im Gegenteil, er war sehr lebendig, hat einigen Wirbel gemacht unter den Messerwetzern. Eine sehr wichtige Rolle, finden Sie nicht?«
Wir gingen in den Hörsaal. In zehn Minuten sollte der nächste Vortrag beginnen, doch er war noch fast leer.
»War es ein gutes Jahr für Sie?«
»In England? Aber ja. Ich war an einigen langfristigen Behandlungen von Kindern aus mittellosen Familien beteiligt, und Andres war ein wundervoller Lehrer. Er verstand es sehr gut, sein Wissen zu vermitteln.«
Das scheint sich nicht vererbt zu haben, dachte ich. »Er ist auch gut zu lesen«, sagte ich.
Rosenblatt nickte, schlug die Beine übereinander und schaute sich in dem verlassenen Hörsaal um.
»Was hält man denn hier von Psychoanalyse?«
»Wir wenden sie selten an. Wir haben es meistens mit schwerkranken Kindern zu tun und konzentrieren uns auf kurzfristige Hilfe. Hauptsächlich geht es um Schmerzkontrolle und Familienberatung.«
»Finden Sie das befriedigend als Analytiker?«
»Ich bin kein Analytiker.«
»Oh.« Er wurde rot um seinen Bart. »Das hatte ich einfach so angenommen. Aber was haben Sie dann mit dieser Konferenz zu schaffen?«
»Katharina muss mich wohl überredet haben.«
Er lächelte. »Sie kann einen wirklich überfahren, nicht wahr? Als ich sie zum ersten Mal traf, in England, war sie noch ein Kind, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, doch schon damals hatte sie eine starke Persönlichkeit. Sie hat bei unseren Seminaren dabeigesessen und den Mund aufgemacht, als würde sie dazugehören.«
»Papas Liebling?«
»Ganz und gar.«
»Vierzehn oder fünfzehn, sagen Sie. Das heißt, sie ist jetzt erst fünfundzwanzig?«
Er dachte einen Moment nach. »Ja, das kommt hin.«
»Ist sie verheiratet?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte einmal, sie sei lesbisch, aber das glaube ich nicht mehr. Asexuell trifft es wohl eher.«
»Anna Freud hat auch nie geheiratet«, bemerkte ich, »ebenso Melanie Klein.«
»Ich bin sicher, der Einfluss eines so überwältigenden Vaters -«
Er stockte mitten im Satz. Ich folgte seinem Blick und sah Katharina auf uns zukommen. Rosenblatt erhob sich.
»Katharina! Nun, wie läuft es?« In seiner Stimme klang Schuldbewusstsein mit. Er war ein sehr schlechter Heuchler.
»Danke, Harvey, gut.« Sie schaute in ihr Programm und auf ihre Uhr. »Du bist in zwei Minuten dran. Warum gehst du nicht schon zum Pult?«
Ich habe die beiden nie wiedergesehen. Ich dachte nicht mehr an die de Boschs, bis im Januar darauf, als ich den Nachruf sah: Andres de Bosch war gestorben. Suizid, Schlaftabletten. Der achtzigjährige Psychoanalytiker hatte sich nach schwerer Krankheit geschlagen gegeben. Seine Verdienste wurden in liebevoller, überflüssiger Vollständigkeit beschrieben. Ich konnte mir vorstellen, wer die Quelle dafür gewesen war.
Seitdem war die Konferenz total aus meinem Gedächtnis verschwunden. Und jetzt, Jahre später, tauchte ihr Thema wieder auf. Böse Liebe - das war der Begriff, den sich de Bosch von fehlgeleiteter Mutterliebe gemacht hatte, sein Ausdruck für den psychischen Schaden, den ein Kind erleidet, wenn eine Vertrauensperson seine Unschuld missbraucht.
Jemand hatte es auf mich abgesehen - etwa wegen der Konferenz? Jemand mit alten, peinigenden Erinnerungen? Aber woran? An etwas, das de Bosch verbrochen hatte, oder jemand, der seinen Theorien folgte? Dass ich auf dem Podium gesessen hatte, ließ mich aussehen, als sei ich ein Schüler von ihm. Das war die einzige Verbindung, an die ich denken konnte.
Vielleicht wusste Katharina die Antwort. Aber würde sie mir weiterhelfen? Neunundsiebzig wollte sie nichts mit mir zu tun haben, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass sie jetzt mit mir reden würde.
Es sei denn, auch sie hatte ein Tonband bekommen und hatte Angst.
Ich rief die Auskunft an. In Santa Barbara gab es unter de Bosch weder ein Forschungsinstitut noch ein Erziehungsheim. Niemand namens Dr. Katharina de Bosch, weder privat noch eine Büronummer.
Als Nächstes schlug ich im neuesten Verzeichnis des Psychologenverbandes
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