Boeser Traum
Was ist hier passiert?
»Ach, ist Emilia verlegt worden?«, versucht er so beiläufig wie möglich zu fragen. Er traut sich nicht, die andere Möglichkeit zu denken. Das wäre ja eigentlich für ihn DIE Lösung.
»Die liegt jetzt auf der Neurochirurgie«, antwortet die Oberschwester knapp.
Julius nickt und versucht zu überlegen, was das für ihn bedeutet. Wie kommt er jetzt am besten an sie ran? Er verabschiedet sich kurz und geht langsam los. Er geht über die Innere. Es ist warm im Krankenhaus, viele Fenster und Türen sind geöffnet, um ein bisschen Wind reinzulassen. Julius stoppt. Er sieht in ein Drei-Bett-Zimmer. Es ist leer. Die Patienten sitzen wohl im Schatten auf dem Balkon oder sind spazieren. Er sieht die langen weiÃen Schachteln mit den Pillen. Er schlieÃt die Tür hinter sich und inspiziert, was da im Angebot ist. Er erkennt die kleinen blauen Tabletten sofort. Sie haben eine Rautenform und sind genau das, was er jetzt braucht. Diese Pillen machen sehr, sehr ruhig. Er lässt sie in seine Hosentasche gleiten. Zielstrebig geht er auf die 3c, die Kinderstation. Hier kennt er sich bestens aus. Er nimmt sich einen Kittel mit Namensschild vom Haken, heiÃt ab jetzt Chris Hampel. Aus der Verkleidungskiste mit dem Clownskostüm und den lustigen Perücken holt er sich eine Kappe. Die ist für später.
Auf der Neurochirurgie war er noch nie. Er atmet dreimal tief in den Bauch, geht dann zielstrebig zum Schwesternzimmer. »Hi. Ich komme aus der Intensiv. Wollte mich kurz von Emilia verabschieden«, sagt er bestimmt.
Die Schwester, die er angesprochen hat, telefoniert gerade. Und ist offenbar genervt. Sie hält nur kurz den Hörer weg.
»Ganz hinten rechts«, brummt sie nur.
Er lächelt, als er auf Emilia zugeht. Sie schläft. Alles ist gut. Und sie wird weiterschlafen. Mit einer schnellen Bewegung lässt er eine blaue Pille in ihrem Mund verschwinden. Hält den Kiefer kurz fest, damit sie sie nicht aus Versehen wieder ausspuckt.
»Ciao Bella«, flüstert er, ehe er geht. Auf dem Weg zur Notaufnahme setzt er sich die Kappe auf, zieht sich den Schirm tief in die Stirn.
»Hi«, sagt er lässig. »Ich soll die Knipskiste für die 3c holen.«
Die Assistenzärztin greift in den Schreibtisch, gibt ihm die kleine Nikon. »Aber wiederbringen nicht vergessen«, mahnt sie. Danach tippt sie an den Kappenschirm. »Gehört das jetzt zur Klinikkleidung?«
»Die Kids stehen drauf!« Julius zuckt die Achseln und ist schon wieder raus.
Erst schlendert er, wird immer schneller. Im Gehen zieht er den Kittel aus, stopft ihn in seinen Rucksack. Vielleicht braucht er den später noch.
Eine falsche Schlussfolgerung
H allo. Hier bin ich wieder.« Julius klingt richtig fröhlich, als ihm fast der Atem wegbleibt. Der Gestank ist noch schlimmer geworden. Charlotta versucht sich hochzurappeln. Wie ein Baby liegt sie auf dem schmutzigen Boden, die Beine angewinkelt, die Arme um sich geschlungen. Juliusâ Augen tasten den Raum ab, bleiben an dem Eimer hängen. Natürlich. Daher der Gestank. Ganz langsam kommt er die Treppe runter, nimmt sich den Eimer, hält die Luft dabei an, geht die Treppe wieder hoch und raus. Die Tür lässt er offen stehen. Wenn Charlotta genug Kraft hätte, könnte sie jetzt gehen. Sie ist zu kraftlos, um auch nur daran zu denken. Als Julius wieder reinkommt, schlieÃt er die Tür hinter sich. Er setzt sich auf den Boden, einige Meter von Charlotta entfernt.
Sie ist schön, stellt er fest. Wirklich so schön wie in seinen Vorstellungen. Sie beobachtet ihn. Wer ist er? Warum holt er nicht ihre Eltern? Was will er von ihr?
»Hier«, er reicht ihr einen Waschlappen, den er mit Wasser aus einer Mineralwasserflasche nass macht, und ein Handtuch. »Und ein frisches Shirt willst du bestimmt auch.«
Er dreht sich um, damit sie sich umziehen kann. Am liebsten würde er sie waschen. Ihr ganz vorsichtig und sanft mit dem Waschlappen den Dreck aus dem Gesicht wischen. Er würde ihr gerne das Shirt überziehen, ihre reine Haut berühren. Das wird kommen. Julius kann sich gedulden. Charlotta saugt ganz kurz an dem Waschlappen, so wie sie es vor vielen, vielen Jahren immer gemacht hat. Sie beeilt sich mit dem Waschen und Umziehen, hat zu viel Angst, dass Julius sich zu früh umdrehen könnte.
»Ich bin fertig«, sagt sie schlieÃlich.
Julius greift in
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