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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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Jeder Faser in ihr zieht sich zusammen.
    Â»Ich muss zu ihm.« Immer wieder sagt sie diesen Satz. Sie muss jetzt für ihn da sein, ihn trösten, ihn beschützen, ihn im Arm halten und versuchen, seiner Trauer die spitzesten Spitzen zu nehmen. Warum soll sie noch in diesem Loch bleiben? Wie ist der Plan? Ist es noch Emilias Plan? Sie hat gar nicht gefragt, welche Verletzungen ihre Freundin genau hat. Sucht die Polizei noch nach ihr – Charlotta? Muss sie sich deswegen verstecken? Hat Emilia Angst, dass herauskommt, was sie geplant hatten? Ist das jetzt noch wichtig? Hat Emilia Angst, dass die Schuld für den Unfall der Eltern ans Licht kommt? Sie knetet ihre Hände, immer wieder, schaut ihnen dabei zu.
    Â»Ich habe doch eigentlich nichts Schlimmes gemacht«, flüstert sie. »Nur ein bisschen Verstecken gespielt.« Ihre Finger ringen mit sich, plötzlich schaut Charlotta auf. Sucht die große Scherbe. Jetzt wäre der Moment gekommen. Eigentlich. Sie wünscht es sich. Für sich. Und sie kann es nicht tun. Wegen Niklas.

Die Rückseite des Bahnhofs
    J ulius schließt sein Rad ab, überprüft noch mal das Schloss. In dieser Gegend sollte man das tun. Er ist auf der Schattenseite des Bahnhofs. Am vorderen Eingang sind die hellen Bäckereien, die Buchhandlungen, das freundliche Reise-Center. Da strömen Menschen mit Koffern Richtung Bahngleis. Auf der Rückseite des Bahnhofs gibt es einen Kiosk, eine Dönerbude, eine Spielhalle, Bierpfützen und Kippen auf dem Boden. Julius sucht genau dieses Milieu. Und er sucht Otto.
    Den ganzen gestrigen Tag hatte er sich das Hirn ausgewrungen, wie er an einen Ausweis für Lotta kommen kann. Er war wie eine Billardkugel zwischen allen Gefühlen hin und her getitscht. Manchmal war er kurz davor gewesen, alles hinzuwerfen. Einfach die Tür zum Keller zu öffnen und zu gehen. Alleine in ein neues Leben. Oder auch in gar keins. Dann hatte er wieder euphorisch an die Zukunft mit Charlotta gedacht. Hatte sich seinen Träumen nur zu gerne hingegeben. Zweifel, Angst, Hoffnung und der verzweifelte Wunsch, endlich mal bei irgendjemandem zu Hause zu sein, waren über ihm zusammengebrochen. Er hatte körperlich gelitten, sein Magen hatte sich zusammengekrampft. Er hatte mit dem Gesicht vor der Wand gestanden und hatte auf sie eingeschlagen. Irgendwann war er aufs Bett gefallen, in einen erschöpften Schlaf gefallen.
    Als er aufwachte, musste er an Otto denken. Und das war für ihn das Zeichen, dass er weitermachen muss. Er erinnert sich noch sehr gut an den Mann. Seine Mutter hatte sich über Jahre mit Otto getroffen. Immer mal wieder hatte der morgens in der Küche gesessen. Mit seinen riesigen Tätowierungen, seinen kräftigen nackten Armen. Er war einer der wenigen Männer gewesen, die Julius wahrgenommen hatten. Und er war einer der wenigen Männer gewesen, die mal gelacht hatten. »Wenn deine Mama will, lege ich ihr die Welt zu Füßen«, hatte er mal zu Julius gesagt. »Ich kann alles organisieren«, hatte er mit breitem Grinsen angefügt.
    Â»Alles?«, hatte Julius damals mit großen Augen gefragt.
    Â»Klar, ich habe einen Im- und Exportladen. Direkt am Bahnhof. Wenn du mal ein besonderes Geschenk für deine hübsche Mama brauchst, kommst du einfach vorbei.«
    Das ist lange her. Aber Julius hofft. Dass der Typ nicht nur ein Aufschneider war, der einen kleinen Jungen beeindrucken wollte. Er läuft die Straße hinterm Bahnhof entlang. Mit jedem Schritt schwindet die Hoffnung. Vielleicht ist Otto längst tot, im Knast oder umgezogen. Fast wäre er an dem winzigen Ladenlokal vorbeigelaufen. Von dem Schriftzug »Im- und Export« fehlen ein paar Buchstaben. Jetzt steht da nur noch »und Ex«. Julius muss fast grinsen. Er schaut durch die verstaubte Auslage in den Raum und erschrickt. Otto sieht nicht nur alt aus. Er sieht verwelkt aus. Die Konturen der Tätowierung sind auf dem faltigen Arm kaum noch zu erkennen. Julius atmet tief ein, öffnet entschlossen die Tür. Diesen Weg muss er jetzt gehen.
    Â»Hallo«, seine Stimme vermischt sich mit dem Ladentürgebimmel.
    Otto guckt hoch, seine rotgeäderten Augen tasten den Kunden ab. Schließlich scheint ihn die Erinnerung zu packen. Er lächelt leicht und zeigt große Zahnlücken.
    Â»Der schöne Sohn der schönsten Frau der Stadt«, sagt er mit rauchiger Stimme. »Wie geht es der Frau Mama? Lange

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