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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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überrascht angesehen und dann gesagt: »Das ist ja witzig.«
    Bestimmt hundertmal haben die Eltern ihren Töchtern später diesen Dialog erzählt und sich darüber amüsiert. Das war, als der Tumor aus Emilias Kopf entfernt und es endlich klar war, dass es sich um einen gutartigen gehandelt hatte. Doch die Erleichterung hatte die Erinnerung an die Angst in Emilia nicht gelöscht. Und die Erinnerung daran, dass nur Charlotta es damals vermochte, ihr etwas Mut und Leichtigkeit zu geben. Sie war die Einzige, die normal blieb. Die sie weiter so behandelte wie zuvor. Ganz kurz hatte Charlotta sich damals die Narbe angeguckt, hatte über die abrasierte Stelle gefühlt, dann hatte sie sich zu ihr aufs Bett gelegt und sie hatten CDs gehört. Sie hatten Bilder gemalt, bis der Nachttisch überquoll. Sie waren Aufzug gefahren und hatten Emilias Bett im Zimmer rumgerollt. In diesen Tagen damals, als ihre Mutter immer rote Augen hatte und ihr Vater so einen melancholischen Ausdruck, hatte Emilia gelernt: Auf Charlotta ist Verlass. Und deswegen muss sie bleiben. Sie darf nicht weggehen. Sie wischt sich mit dem Unterarm über das Gesicht, versucht in die Sonne zu blinzeln. Ganz kurz sind da plötzlich noch andere Gedanken. Sie erinnert sich an die Angst ihrer Eltern, diese quälende alles bestimmende Angst. Genau diese Angst wird sie Charlottas Eltern zufügen. Die Gedanken bohren sich in ihren Kopf wie feine Nadeln unter den Fingernagel. Sie beißt sich auf die Lippe und versucht sich selber zu beruhigen: ist nur für ein paar Tage. Sie werden hinterher umso glücklicher sein.
    Wirklich glauben kann sie ihren Worten nicht. Sie stößt sich an der Wand ab. Es gibt kein Zurück.

Es geht los
    C harlotta schließt die Haustür auf. »Bin wieder da«, ruft sie und geht direkt aufs Klo. Ihren Eltern hatte sie erzählt, dass sie kurz eine Runde joggen wollte. Nach der Dusche und zwei weiteren Toilettengängen freut sich darüber, dass die Bauchschmerzen nur noch dumpf und grollend, nicht mehr spitz und fies sind. Sie funktioniert jetzt wie ein Roboter. Sie weiß, dass sie nicht nach rechts oder links denken darf. Nach dem Frühstück, das für sie aus Tee und Orangensaft besteht, spielt sie mit Niklas im Garten. Sie hofft so sehr, dass er nicht alles mitbekommen wird. Dass die Eltern es schaffen, ihm irgendeine Lügengeschichte glaubhaft aufzutischen.
    Â»He! Träumst du? Was bist du für ein Torwart?«, brüllt er sie plötzlich an und zeigt auf den Ball hinter ihr im Netz.
    Â»Sorry, Niklas. Ich war von Mama und dem riesigen Schoko-Eis dahinten abgelenkt.«
    Â»Was?« Niklas dreht sich natürlich sofort um. Charlotta wirft ihm den Ball an den Kopf.
    Â»He? Träumst du? Was bist du denn für ein Stürmer? Sollte das ein Kopfball sein?«, lacht sie leicht gequält. Eben hat sich wieder ihr Bauch gemeldet. Sie krümmt sich kurz zusammen, Niklas bekommt davon nichts mit. Er sprintet auf seine große Schwester zu, wirft sich brüllend auf sie und drückt sie zu Boden. Sie japst nach Luft, ignoriert dann den Schmerz und fügt sich unter Protest. Niklas stößt ein Triumphgeheul aus. Er weiß ja nicht, dass sie die Situation nutzt, um ihn noch mal eben ganz fest an sich zu drücken und seinen Kleine-Jungen-Geruch aufzusaugen. Ein Blick auf die Uhr. Kurz vor elf. Sie schließt kurz die Augen, zieht ein letztes Mal die Luft tief ein und steht auf.
    In ihrem Zimmer zieht sie eine Jeans an, das neue Top und Turnschuhe. Sie steckt kurz ihren Kopf in die Küche. »Ich bin noch mal eben mit dem Rad weg.«
    Ihre Mutter dreht abrupt den Kopf. »Muss das sein? Wir wollen um spätestens zwölf Uhr los.«
    Â»Dauert nicht lange. Mats hat meine Gangschaltung und Bremsen neu eingestellt. Ich will nur eben prüfen, ob das jetzt gut so ist. Falls nämlich nicht, kann er sich heute Nachmittag noch mal das Rad vornehmen.«
    Â»Okay. Aber bleib nicht zu lange bei Mats, okay?«
    Charlotta zieht kurz die Augenbrauen hoch. Was sollte die Anspielung?
    Sie flitzt in den Keller, tauscht ihre Turnschuhe gegen die etwas zu großen Leinenschuhe der Mutter und knotet sich das graue Kapuzen-Sweatshirt um die Hüften. Sie tritt mechanisch und heftig in die Pedalen.
    Schon um Viertel nach elf ist sie auf der Ausfallstraße Richtung Autobahnauffahrt. Sie hat längst das Sweatshirt an, die Kapuze über den Haaren und halb

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