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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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Um zu überlegen, was sie besser fände. Als sie plötzlich ein Geräusch an der Tür hört, erschreckt sie nicht. Sie freut sich nicht. Sie baut es einfach ein in ihre obskuren Fantasien. Sie hockt auf der Treppe und hebt nur müde den Kopf.
    Julius hatte Angst gehabt, den Schlüssel umzudrehen. Am meisten Angst davor, dass in diesem Keller einfach nichts ist. Dass gleich sein Traum in sich zusammenfällt. Er kennt sich. Ein bisschen zumindest. Es würde ihn in einen Abgrund stürzen, die Enttäuschung würde sich zur überdimensionalen Trauer aufblasen. Seine Hand zittert. Er versucht ganz leise zu sein, weiß gar nicht, warum. Das Schloss klemmt ein bisschen, es hakt, dann kann er den Schlüssel drehen. Ganz langsam öffnet er die schwere Tür und sieht erst mal nichts. Im Raum ist es zu dunkel, seine Augen sind das Licht gewöhnt. Sein Blick tastet die grauen Wände ab. Seine Nase nimmt fiese Gerüche wahr. Er ist einiges gewöhnt aus dem Krankenhaus. Aber das hier ist doch eine Nummer härter. Er kneift die Augen zusammen und erschrickt, als er plötzlich ein paar Meter von sich auf der Treppe eine Bewegung wahrnimmt. Er sieht einen Haufen. Einen menschlichen Haufen. Er registriert helle Haare, sieht einen halb nackten Arm. Sein Puls schnellt hoch. Mit zittriger Hand holt er die Wasserflasche aus seiner Tasche, stellt sie oben auf die Treppe, schlägt die Tür zu und schließt zweimal ab. Er muss das erst mal verarbeiten.
    Es gibt sie.
    Es gibt Charlotta.
    Sie ist keine Fantasiefigur.
    Er versucht, tief in den Bauch einzuatmen, irgendwie sein hechelndes Herz in den Griff zu kriegen. Er hat bis jetzt gedacht. Bis zu diesem Moment. Er wollte sie finden. Das war der Plan. Alles andere waren Wünsche, Träume. Er hatte sich in der Vorstellung gesuhlt, dass er dieses Mädchen pflegt, sie wäscht. Er hatte sich nie überlegt, wie er das wirklich in die Tat umsetzen möchte.
    Das Bild, das er gerade gesehen hat, kennt er. Das Dämmerlicht, verwuschelte blonde Haare, ein Körper unter einer Decke. Ein kalter Schweißfilm liegt auf seiner Haut. Diese oder eine ähnliche Szene hat er zu oft gesehen. Er erinnert sich, dass er unter Mamas Decke schlüpfen wollte. Es war ein Sonntagmorgen. Vielleicht auch Samstag. Zumindest war es keiner dieser Hektikmorgen, wenn er in die Kita musste. Er wollte unter Mamas warme Decke, sich an sie schmiegen, noch ein bisschen träumen. Er stand schon neben ihrem Bett, als er sah, dass auf der anderen Seite sich etwas unter der Decke bewegte. Beim ersten Mal hatte er gedacht, dass es ein Tier ist. Eine Katze oder so. Dann hatte er ein behaartes Bein gesehen. Und einen pelzigen Rücken. Er hatte darauf gestarrt, die Decke ganz langsam wieder fallen lassen und war rückwärts rausgegangen. Er hätte in sein eigenes Bett gehen können, unter die eigene Decke schlüpfen, wo vielleicht noch ein Traum auf ihn gewartet hätte.
    Er hatte sich auf den kalten Küchenstuhl gesetzt und gewartet, bis der Mensch gegangen war. Er hatte sich extra so gesetzt, dass er ihn nicht sehen konnte. Erst als er die Haustür ins Schloss fallen hörte, ging er wieder in sein Bett. Der Platz neben seiner Mutter wäre jetzt frei gewesen. Aber sie kam ihm so schmutzig vor. Er hasste es, wenn sie an diesen Morgen mit verschmierter Schminke in die Küche kam, den Bademantel nur so halb geschlossen. Er hatte immer auf ihren großen Busen gucken müssen.
    Er war hin- und hergerissen. Manchmal hatte er den Drang gehabt, sich auf ihren Schoß zu setzen, sich an sie zu kuscheln. Doch er konnte nicht. Irgendwas in ihm verbot es ihm.

Kurz in die Sonne blinzeln
    S eitdem er im Krankenhaus angefangen hat, wird er immer wieder mit der Vorstellung konfrontiert, wie es wäre, wenn sie eingeliefert würde. Er weiß, dass das Unsinn ist. Seine Mutter lebt mittlerweile einen anderen Traum in Spanien. Einen Traum, in dem ein Mann die Hauptrolle spielt. Mit einem Mann, für den sie nicht die Hauptrolle spielt.
    Julius hat sich vorgestellt, wie sie in der weißen Bettwäsche liegt.
    Tot.
    Wie friedlich sie aussehen würde. Endlich.
    Den Morgen mit der verschmierten Schminke waren oft Abende mit verheulter Schminke gefolgt. Er hatte alles versucht. Er hatte Mama Überraschungsteller gemacht. Er hatte Äpfel klein geschnitten, Schokoriegel in kleine Happen geteilt, Cracker mit Käse bestrichen. Meist hatte sie

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