Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
dass es Mama etwas besser geht. Ich war gestern zwei Mal bei ihr.«
»Das ist schön. Sie braucht dich jetzt.«
»Leider kann sie sich noch immer an nichts erinnern. Die Ärzte sagen, es kann dauern, bis die Erinnerung an den Überfall zurückkommt. Manchmal kommt sie auch gar nicht wieder.«
»Vielleicht ist das sogar besser.« Wolfgang räusperte sich. »Meike, ich muss jetzt leider in eine wichtige Besprechung. Ich rufe dich …«
»Leonie Verges ist tot«, unterbrach Meike ihn.
»Wer ist tot?«
»Mamas Psychotante in Liederbach, bei der wir am Samstag waren.«
»Großer Gott, das ist ja furchtbar«, sagte Wolfgang betroffen. »Woher weißt du das?«
»Weil ich zufällig da war. Ich wollte sie etwas fragen, wegen Mama. Die Haustür stand auf und … und ich hab sie gesehen. Es war … entsetzlich. Ich kann diesen Anblick einfach nicht vergessen.« Meike ließ ihre Stimme zittrig klingen, ganz das erschrockene kleine Mädchen. Diese Masche hatte bei Wolfgang immer gezogen. Vielleicht bekam er jetzt Mitleid mit ihr und würde sie einladen, wieder in seinem Haus zu übernachten. »Jemand hatte sie auf einen Stuhl gefesselt und ihren Mund zugeklebt. Sie ist wohl verdurstet. Die Polizei ist dann gekommen, ich habe ihnen Mamas Computer aus dem Büro gegeben. Meinst du, das war richtig?«
Er brauchte einen Moment, um zu antworten. Wolfgang war ein besonnener Mensch, einer, der gründlich überlegte, bevor er etwas sagte. Wahrscheinlich musste er diese Informationen erst einmal verarbeiten. Meike hörte Stimmengewirr im Hintergrund, Schritte, dann klappte eine Tür und es war still.
»Natürlich war das richtig«, sagte Wolfgang schließlich. »Meike, du solltest dich aus allem heraushalten und die Polizei ihre Arbeit machen lassen. Es ist gefährlich, was du da tust. Kannst du nicht für ein paar Tage zu deinem Vater fahren?«
Meike glaubte, sich verhört zu haben. Was war das denn für ein beschissener Vorschlag?
Sie nahm allen Mut zusammen.
»Ich … ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar Tage bei dir wohnen. Du hattest mir das doch angeboten«, erwiderte sie mit Kleinmädchenstimme. »Ich kann jetzt nicht nach Stuttgart fahren und Mama im Stich lassen.«
Wieder dauerte es endlose Sekunden, bis Wolfgang antwortete. Mit ihrem Ansinnen, bei ihm zu wohnen, hatte sie ihn überrumpelt, und so wirklich hatte er es ihr gar nicht angeboten. Insgeheim hoffte sie auf tröstliche Worte und ein spontanes »Na klar«, doch je länger er sie auf eine Antwort warten ließ, desto sicherer wusste sie, dass er nach einer Ausrede suchte, die sie nicht verletzte.
»Das geht leider nicht«, sagte er.
Sie hörte seiner Stimme das Unbehagen an, wusste, in welchen Gewissenskonflikt sie ihn gebracht hatte und verspürte boshafte Genugtuung darüber.
»Wir haben das Haus bis zum Wochenende voller Gäste.«
»Na ja, dann nicht«, erwiderte sie leichthin, obwohl sie vor Zorn über seine Zurückweisung am liebsten geheult hätte. »Hast du eigentlich noch einmal wegen des Volontariats nachgedacht? Ich hab jetzt ja keinen Job mehr.«
Ein anderer Mann hätte jetzt vielleicht gesagt, sie solle ihn nicht nerven, aber Wolfgang stand seine angeborene Höflichkeit im Weg.
»Lass uns deswegen später noch mal telefonieren«, redete er sich heraus. »Ich muss jetzt wirklich in die Besprechung, sie warten alle auf mich. Halt die Ohren steif. Und pass auf dich auf!«
Meike feuerte ihr Handy auf das Sofa und brach in Tränen der Enttäuschung aus. Nichts lief so, wie sie es sich erhoffte! Verdammt! Niemand interessierte sich für sie! Früher wäre sie tatsächlich zu ihrem Vater gefahren und hätte sein Mitleid eingefordert, aber seitdem er eine neue Lebensgefährtin hatte, war sein Interesse an ihr abgeflaut. Diese blöde Kuh hatte sich bei ihrem letzten Besuch in Stuttgart sogar erdreistet, ihr zu sagen, sie solle sich endlich mal wie eine Erwachsene benehmen und nicht wie eine pubertierende Fünfzehnjährige. Seitdem hatte Meike sich dort nicht mehr blicken lassen.
Sie ließ sich auf das Sofa fallen und überlegte, was sie tun, wen sie anrufen konnte. Aber es fiel ihr niemand ein.
*
Die beiden verschreckten jungen Frauen, die man im Keller in Bernd Prinzlers Haus gefunden hatte, waren von ihrer »Befreiung« alles andere als begeistert gewesen. Die Tatsache, dass sie Russinnen waren und in einem wenig luxuriösen Zimmer hausten, war für die Einsatzleitung Beweis genug gewesen, sie für illegale Prostituierte zu halten,
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