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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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in ein kleines Zimmer, das schlecht gelüftet wurde.
    Gestern Abend hatte sie ihm noch eine SMS geschrieben, ihn gebeten, nicht ins Krankenhaus zu kommen. Es war ihr unangenehm, in diesem Zustand von einem Mann gesehen zu werden, der kein Arzt war. Sie konnte sich vorstellen, wie sie aussah, sie hatte mit den Händen ihr Gesicht abgetastet, die Schwellungen gefühlt und die Fäden an der Stirn, der linken Augenbraue und am Kinn. Ob die Maskenbildnerinnen kunstfertig genug waren, aus diesem desaströsen Schlachtfeld wieder ein fernsehtaugliches Gesicht zu zaubern?
    Das letzte Mal hatte sie an jenem Abend in den Spiegel ihrer Garderobe im Sender geschaut. Da war ihr Gesicht noch makellos und schön gewesen, abgesehen von ein paar Fältchen. Jetzt wollte sie sich nicht sehen, sie wusste, dass sie den Anblick nicht ertragen könnte. Das Entsetzen in den Augen ihrer Besucher reichte ihr.
    »Setz dich doch einen Moment«, forderte sie Wolfgang auf.
    Er schob den Stuhl neben ihr Bett, nahm unbeholfen ihre Hand. Die vielen Schläuche, die in ihren Körper hinein- und wieder hinausführten, irritierten ihn, Hanna sah ihm an, wie er versuchte, den direkten Blick darauf zu vermeiden.
    »Wie geht es dir?«
    »Gut wäre gelogen«, krächzte sie.
    Ihr Gespräch geriet gezwungen, stockte immer wieder. Wolfgang sah blass und übernächtigt aus, wirkte nervös. Unter seinen Augen lagen violette Schatten, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. Irgendwann gingen ihm die Themen aus, er verstummte. Hanna sagte auch nichts. Was hätte sie ihm auch erzählen können? Wie beschissen es war, einen künstlichen Ausgang zu haben? Wie groß ihre Angst war, für den Rest ihres Lebens entstellt und traumatisiert zu sein? Früher hätte sie ihm das anvertraut, aber jetzt war irgendetwas anders. Jetzt gab es jemand anderen, von dem sie sich wünschte, dass er bei ihr säße und ihre Hand hielte.
    »Ach, Hanna«, sagte Wolfgang und seufzte. »Es tut mir so leid, dass du so etwas erleben musstest. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas für dich tun. Hast du eine Ahnung, wer dir das angetan hat?«
    Hanna schluckte. Kämpfte das aufsteigende Grauen nieder. Die Erinnerung an Todesangst und Schmerzen und Entsetzen.
    »Nein«, flüsterte sie. »Wusstest du, dass Leonie Verges, meine Therapeutin, umgebracht worden ist?«
    »Meike hat es mir gesagt.« Er nickte. »Es ist alles so schrecklich.«
    »Ich verstehe das nicht. Die Polizei hat, was mich betrifft, zwei Männer im Verdacht.« Das Reden strengte Hanna sehr an. »Aber die beiden waren es ganz sicher nicht. Warum hätten sie das tun sollen? Ich habe mit ihnen zusammengearbeitet. Ich glaube eher, es ist wegen der Sache, an der ich dran war …«
    Plötzlich kam ihr ein Verdacht. Ein ungeheuerlicher Verdacht.
    »Du hast doch mit niemandem darüber gesprochen, oder, Wolfgang?«
    Sie versuchte, sich aufzurichten, aber es ging nicht. Kraftlos sank sie zurück.
    Wolfgang zögerte. Für einen winzigen Moment glitt sein Blick zur Seite.
    »Nein. Das heißt, nur mit meinem Vater«, gab er verlegen zu. »Er war alles andere als begeistert, wir hatten einen Riesenkrach deswegen. Manchmal gehe es um mehr als nur um Einschaltquoten, hat er gesagt. Ausgerechnet er!«
    Er lachte auf, es war ein gequältes Lachen.
    »Er wollte nicht, dass sich seine Sender mit solch unbewiesenen Verleumdungen beschäftigen. Diese Namen – die haben ihn am meisten gestört. Er hat wahnsinnige Angst vor einer Klage oder schlechter PR . Es … es tut mir wirklich leid, Hanna. Wirklich sehr.«
    »Schon gut.« Hanna nickte matt.
    Sie kannte Wolfgangs Vater seit dreißig Jahren und konnte sich seine Reaktion lebhaft vorstellen. Genauso gut kannte sie Wolfgang. Sie hätte sich denken können, dass er seinem autoritären Vater von ihrem Vorhaben berichten würde, er hatte einen Höllenrespekt vor ihm und war ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Noch immer wohnte er in der Villa seiner Eltern, und seinen Posten als Programmdirektor hatte er nur von Papas Gnaden. Auch wenn Wolfgang diesen Job gut und gewissenhaft machte, so mangelte es ihm an Mut und Durchsetzungsvermögen. Sein Leben lang war er nur der Sohn des großen Medienmoguls Hartmut Matern und sie in ihrer Freundschaft immer die Erfolgreichere gewesen, die Clevere, die Starke. Hanna wusste, dass ihm das nichts ausmachte, aber sie war sich nicht sicher, wie es ihm dabei ging, noch heute, mit Mitte vierzig, von seinem Vater vor versammelter Mannschaft heruntergeputzt zu werden,

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