Böses Herz: Thriller (German Edition)
und niemand würde ihn vermissen.
10
D ie Dunkelheit würde die Suche nach Coburn erschweren.
Weshalb der Bookkeeper nicht gerade glücklich darüber war, dass die Sonne unterging.
Sam Marsets Exekution hatte eine ganze Woche an Planungen und Vorbereitungen erfordert, und wie nicht anders zu erwarten, hatte sie einen gewaltigen Widerhall ausgelöst. Eine Gegenreaktion war abzusehen, und sie war sogar erwünscht, denn je lauter der öffentliche Aufschrei ausfiel, desto stärkeren Eindruck würde die blutige Tat bei jenen hinterlassen, die ihre Lektion noch nicht gelernt hatten.
So wie damals bei dem Highway-Polizisten. Bei seiner Beerdigung hatte sich die Prozession über Meilen erstreckt. Aus mehreren Bundesstaaten waren uniformierte Polizisten angereist, die entweder nicht wussten oder nicht wahrhaben wollten, dass der Tote ein unmoralischer Drecksack gewesen war, der sich bereichert hatte, indem er beide Augen zudrückte, wenn Drogen, Waffen oder Menschen über jenen Abschnitt der Interstate 10 transportiert wurden, auf dem er Streife fuhr.
Außerdem kursierten Gerüchte, dass er sich hin und wieder an den jungen Frauen vergriffen hatte, um sie danach in das Höllenloch von Laderaum zurückzustoßen, in dem sie von einem Ort an den anderen verfrachtet wurden. Angeblich waren ihm Jungfrauen am liebsten gewesen, die allerdings keine mehr waren, nachdem sie in seine Fänge geraten waren.
Als man seinen Leichnam mit beinahe abgetrenntem Kopf hinter dem linken Hinterrad seines Streifenwagens gefunden hatte, hatten sich die Kommentarschreiber der Zeitungen und die Fernsehexperten über die Brutalität dieses Verbrechens ereifert und lauthals gefordert, dass der Mörder gefasst und so streng wie möglich bestraft werden müsse. Aber schon ein paar Tage später wurde die Öffentlichkeit durch die aufregende Nachricht abgelenkt, dass ein Hollywood-Starlet vorzeitig aus der Entzugsklinik entlassen worden war.
Die moderne Gesellschaft war dem Untergang geweiht. Und nachdem man sich diesem moralischen Verfall nicht entgegenstemmen konnte, konnte man genauso gut davon profitieren. Wer erst zu dieser Erkenntnis gelangt war, hatte keine Probleme mehr, ein Imperium zu errichten. Vielleicht kein Industrie- oder Kunst-, kein Finanz- oder Immobilienimperium, aber dafür ein Imperium der Korruption. Im Grunde war das auch nur ein Gewerbe. Und wer sich ausschließlich auf diese Währung beschränkte, dessen Geschäfte florierten.
Um etwas zu erreichen, durfte man keine Skrupel haben. Man musste wagemutig und entschlossen handeln, durfte keine losen Enden zurücklassen und gegenüber Konkurrenten wie Verrätern keine Gnade walten lassen. Der Letzte, der das schmerzhaft erfahren musste, war Sam Marset gewesen. Nur dass Marset der Lieblingssohn von ganz Tambour gewesen war.
Je näher die Sonne dem Horizont entgegentrieb und je tiefer sich die Dunkelheit herabsenkte, desto deutlicher wurde, dass sich die Wellen, die der Mord an Marset geschlagen hatte, allmählich zu einem wahren Tsunami auswuchsen.
Und alles nur wegen diesem Lee Coburn.
Den sie finden mussten. Den sie zum Schweigen bringen mussten. Den sie ausradieren mussten.
Dass es irgendwann passieren würde, stand fest. Der Kerl mochte sich für noch so gerissen halten, er konnte unmöglich dem umfassenden und gleichzeitig engmaschigen Netz der Korruption entkommen, das inzwischen über dem ganzen Land lag. Wahrscheinlich würde ihn einer seiner eifrigen, aber tölpelhaften Verfolger erschießen. Falls er wider alle Erwartungen lebend verhaftet würde, würde Diego zum Einsatz kommen und das Problem lösen. Diego war ein lautloser Killer ohnegleichen. Er würde eine Möglichkeit finden, in einem unbeobachteten Augenblick in Coburns Nähe zu gelangen. Dann würde er blitzschnell sein Rasiermesser ansetzen und Coburns heißes Blut auf seinen Händen spüren.
Eigentlich war er dafür zu beneiden.
Bei Sonnenuntergang sah Honors Haus aus, als wäre ein Wirbelsturm durchgezogen.
Emily war pünktlich aus ihrem Mittagsschlaf erwacht. Ein Saftkarton, ein Päckchen Kekse und der freie Zugang zum Fernseher hatten sie mehr oder weniger stillgestellt. Aber nicht einmal ihre liebsten Disney-DVDs hatten sie lange von ihrem Besucher ablenken können.
Ständig versuchte sie sich mit Coburn zu unterhalten und traktierte ihn mit Fragen, bis Honor ihr schließlich ungewöhnlich barsch über den Mund fuhr. »Lass ihn in Ruhe, Emily.« Sie fürchtete, Emilys Geplapper und vor allem Elmos
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