Boeses Spiel in Oxford
Malden war vermutlich genau in dem Moment getötet worden, als er eigentlich einen dicken Umschlag voller Zwanzigpfundnoten erwartete. Aber warum hatte man Joiner in Ruhe gelassen? Vielleicht weil Maldens Tod ausreichte, um ihm für alle Zeiten eine Heidenangst einzujagen, oder weil sie nichts von seiner Beteiligung wussten (was Kate für recht unwahrscheinlich hielt), oder weil sie zu einem Zeitpunkt kommen wollten, an dem er am wenigsten damit rechnete.
Vielleicht lag es auch daran, dass er in Oxford zu bekannt war, fuhr sie im Bus nach Fridesley mit ihren Überlegungen fort. In letzter Zeit hatte es zu viele tödliche Unfälle gegeben, und sie wollten vielleicht nicht riskieren, dass die Polizei schließlich doch noch aufhorchte. »Rektor eines Oxforder Colleges ermordet« wäre eine zu auffällige Titelzeile, und zwar nicht nur in den lokalen Blättern. Sie würde so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass man schließlich doch eine Verbindung zwischen den vier Toten – nein, dann wären es ja schon fünf – erkannte. Es war einfach zu riskant, und Joiner würde ihnen ohnehin kein Kopfzerbrechen mehr bereiten.
Kate selbst schien allerdings so unwichtig zu sein, dass man glaubte, sie ungestraft in einer öffentlichen Grünanlage angreifen und töten zu können. Der Gedanke war nicht besonders erbaulich.
22
»Hat eigentlich das neue Schuljahr noch nicht begonnen?«, fragte Kate am folgenden Morgen beim Frühstück.
»Du vergisst, dass ich Direktorin einer Privatschule bin«, antwortete Camilla. »Unsere Schuljahre sind kürzer.«
»Dafür sind die Kosten umso höher.«
»Aber unsere Erfolge können sich sehen lassen«, erwiderte Camilla selbstgefällig. »In einer Hinsicht hast du allerdings Recht: Ich muss heute wieder in die Schule, obwohl unser Schuljahr noch nicht begonnen hat. Heute stehen Konferenzen mit meinen Mitarbeitern auf dem Programm, außerdem habe ich jede Menge Papierkram zu erledigen. Macht es dir etwas aus, allein zu bleiben?«
»Oh, mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde es mir in deinem Esszimmer gemütlich machen und mich in die Arbeit an meinem Roman knien.« Sie unterbrach sich. »Außer zur Mittagszeit. Da bin ich nämlich mit Sam Dolby verabredet.«
»Muss das wirklich sein?« Kate hörte die Missbilligung in Camillas Stimme.
»Weißt du, das ist nicht etwa eine romantische Verabredung. Seine Frau liegt mir schon seit einiger Zeit in den Ohren, dass ich einmal mit ihm sprechen soll. Ich verstehe zwar nicht, warum die beiden nicht in der Lage sind, ihre Eheprobleme ohne fremde Hilfe zu bewältigen, aber nachdem ich mich da habe hineinziehen lassen, bleibt mir keine andere Wahl.«
»Das sagst du nur, weil du noch immer an deinem schlechten Gewissen knabberst, Sams Bruder den Laufpass gegeben zu haben. Dabei brauchst du dir wirklich keine Vorwürfe zu machen. Du und George, ihr habt überhaupt nicht zueinander gepasst. Das konnte jeder sehen. Irgendwann musste zwischen euch Schluss sein.«
»Mag schon sein. Trotzdem muss ich mich mit Sam treffen. Immerhin ist Emma meine Freundin.«
»Na ja, in seiner Gesellschaft dürftest du einigermaßen sicher sein. Meinst du, du könntest ihn überreden, dich nach eurem Treffen nach Hause zu begleiten?«
»Ich fürchte, das würde ihn nicht nur verwirren, sondern auch in Verlegenheit bringen.«
Camilla lachte. Die Spannung zwischen ihnen legte sich. Dann klingelte das Telefon.
»Hallo? Camilla Rogers. Am Apparat.« Jetzt hörte sie sich wieder ganz und gar direktorinnenhaft an. Ein Murmeln drang aus dem Hörer, das Kate als männliche Stimme identifizieren konnte.
»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Camilla mit schneidender Stimme. »Wer spricht da überhaupt?« Sie lauschte einen Augenblick, dann sagte sie: »Warten Sie eine Sekunde. Ich möchte mir Ihren Namen und den Ihrer Organisation aufschreiben.«
Sie reichte das Telefon an Kate weiter und flüsterte: »Ein Jon – ohne h – Kenrick. Er sagt, er arbeitet für einen gewissen Ensis.« Aus ihrem Mund hörte es sich an, als hegte sie begründete Zweifel an Kenricks Glaubhaftigkeit.
»Ensis? Ach du meinst NCIS, den Geheimdienst. Sind das nicht diejenigen, die sich darum bemühen, unsere E-Mails lesen zu dürfen?«
»Wieso um alles in der Welt haben sie Interesse an unseren E-Mails?«
»Um ganz sicherzugehen, dass wir nicht heimlich Kinderpornografie verkaufen. Sie nehmen es mit der Verbrechensbekämpfung jedenfalls sehr genau. Komm, gib mir das Telefon. Ich denke, ich
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