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Boeses Spiel in Oxford

Boeses Spiel in Oxford

Titel: Boeses Spiel in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Roz anzurufen, doch Roz war wieder einmal nicht zu Hause. Sie ging früh zu Bett und nahm von Camilla sogar zwei Paracetamol gegen die Schmerzen in ihrem Hals an.
    Doch schon am nächsten Morgen fühlte sie sich rastlos. Sie wollte fort, wollte etwas tun und nicht ruhig in Camillas Esszimmer herumsitzen. Einen ganzen Tag Arbeit konnte sie unmöglich durchhalten – ihre Neugier ließ sich einfach nicht mehr im Zaum halten.
    Die Polizei hatte sich noch nicht gerührt, und Kate war froh, dass sie ein zweites Exemplar der Jester-Datei ausgedruckt hatte.
    Nachmittags, als Camilla sich in ihr Büro in der Amy-Robsart-Mädchenschule zurückgezogen hatte (Sonntag war der einzige Tag der Wochen, an dem sie einigermaßen produktiv arbeiten konnte, behauptete sie), beschloss Kate, das Haus zu verlassen. Es würde doch sicher nichts ausmachen, oder? Bestimmt würde niemand Camillas Haus beobachten, und für alle Fälle würde sie ihre unauffälligsten Kleidungsstücke tragen. Der Tag war so kühl, dass sie sogar eine wenig schmeichelhafte Fleecemütze tief ins Gesicht ziehen konnte. Marineblau war die unaufdringlichste Farbe, die ihr einfiel, und so zog sie eine Hose und ein Oberteil in dieser Farbe an. Sie lief bis zur Fridesley Road und nahm den Bus in die Stadt. Zwischen den Passagieren würde sie bestimmt niemand suchen, dessen war sie sicher. Normalerweise lief sie zu Fuß in die Stadt.
    In der Nähe der Stadtverwaltung stieg sie aus, lief bis Carfax und bog von dort in die High Street ab. Auch sonntags wälzten sich Menschenmassen durch Oxford. Die Touristen ließen sich von unfreundlichem Wetter nicht abhalten.
    Kate folgte einer schmalen Kopfsteinpflasterstraße und betrat das Bartlemas College durch den elegant gewölbten Torbogen. Sie ging nicht davon aus, dass Harry Joiner sich um diese Zeit zum Beten in der Kapelle des Colleges aufhielt, obwohl es sich bei Bartlemas um eine christliche Institution handelte und zufällig Sonntag war. Stattdessen hoffte sie, ihn in der Rektorenunterkunft zu finden, und zwar am liebsten allein. Es gab da einige Fragen, die sie ihm gern gestellt hätte und von denen sie vermutete, dass er sie nur ungern in aller Öffentlichkeit beantworten wollte.
    Sie ging durch das College, durch den Pesant Quad und vorbei am Tower of Grace und öffnete das Tor zu dem herrlichen Garten, der allein dem Rektor und seinen Gästen vorbehalten war. Der kleine, perfekt gepflegte Rasen war von Staudenrabatten umgeben, die selbst zu dieser späten Jahreszeit noch in sanften Farben leuchteten. Im Frühling dürften die Obstbäume blühen wie weißer und rosafarbener Schaum, der Rasen würde wahrscheinlich unter wilden Hyazinthen fast verschwinden, und die Vögel würden in allen Zweigen ihr Lied singen. Ach ja, so viel zu den Privilegien höherer Akademiker!, dachte Kate neidisch und nickte einem moosbedeckten, steinernen Amor zu, der mit seinem Pfeil auf eins der Fenster des Rektors zielte.
    Die Rektorenunterkunft war nicht so, wie man es bei einem altehrwürdigen Institut wie dem Bartlemas erwartete hätte. Statt eines anmutigen Gebäudes aus dem achtzehnten Jahrhundert fand man hier ein Beispiel für ein spätes cottage orné , das von einem schrulligen Rektor im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden war, der sich vermutlich die Bücher von J. M. Barrie und Kenneth Grahame allzu sehr zu Herzen genommen hatte. Die Mauern waren aus Naturstein die Fenster bestanden aus Butzenscheiben, das sehr steile Dach war mit Reet gedeckt, aus dem noch mehr Butzenfenster wie verängstigte Waldtiere herausspähten. Als hätte man den süßlichen Eindruck abmildern wollen, war die Tür schwarz gestrichen und mit einem martialisch dreinblickenden Türklopfer aus Messing verziert, der ein Gesicht mit hervorquellenden Augen und einem anzüglich grinsenden, mit spitzen Zähnen bewehrten Mund zeigte. Das Ding war vermutlich sehr alt, ziemlich wertvoll und kam sicher in vielen interessanten Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten vor, aber es war auch schauderhaft hässlich. In gewisser Weise konnte Kate den Impuls durchaus nachvollziehen, der dazu geführt hatte, den scheußlichen Klopfer in dieser gnadenlos kitschigen Umgebung unterzubringen. Sie hob ihn hoch und ließ ihn mit einem beeindruckenden Krachen fallen.
    Harry Joiner kam höchstpersönlich an die Tür. Kate hatte keine Ahnung, ob es daran lag, dass seine Bediensteten am Sonntagnachmittag Ausgang hatten, oder ob das College das Budget für seinen

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