Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
Vom Netzwerk:
kreisen. Wortlos stieg er aus und ging die Gasse hinab zu
     dem Wiesengrundstück, auf dem er den Großraumwagen geparkt hatte.
    Wir folgten ihm. Ich schaute Louis fragend an, doch der verstand auch nicht, was vor sich ging. Miller stellte sich breitbeinig
     vor dem Sharan auf.
    »Sie haben es nicht geschafft, diese Bastarde. Sie haben die Wegfahrsperre nicht knacken können.«
    »Wie du es vorausgesagt hast«, versuchte Straßer Miller zu beruhigen. Er schien sich Sorgen um seinen Kollegen zu machen.
    Miller stampfte auf die Fahrertür zu. Er zog den Schlüssel aus der Tasche und betätigte den automatischen Türschlossöffner.
     Es knackte. Miller riss die Seitentür auf. Er trat zur Seite und schaute auf seine Füße. Alain Miller schluchzte.
    Der Sharan war leer. Vollkommen leer. Ausgeräumt. Sie hatten alle Sitze abmontiert und gestohlen. Der schöne Wagen sah aus
     wie eine dieser riesigen Luftfrachtmaschinen, die nur aus einem Gerippe bestehen. Es war ein Jammer.
    »Die kriegen wir, Alain«, sagte ich.
    Alain knallte die Schiebetür zu und ging stumm in das Haus, in dem er mit seiner Mutter wohnte.
    Ich blickte auf die Uhr. »Es ist höchste Zeit«, sagte ich zu Louis.
    Louis schaute gequält.
    »Können Sie nicht allein zur Leichenschau gehen?«
    »Nein. Bitte, holen Sie Miller! Wir müssen los.«
     
    |82| A us der Leichenschau machten die Franzosen eine Zeremonie. Es galt, genaue Vorschriften einzuhalten. Die betrafen weniger den
     Vorgang selbst als die Anwesenden. Alle an der Ermittlung beteiligten Beamten mussten antreten.
    Miller, Straßer und ich warteten vor der quadratischen Leichenhalle. Um uns herum glühten die grauen Gräber mit den Lothringer
     Kreuzen in der Morgensonne. Nichts rührte sich. Die kleine Halle aus Betonplatten und Schmiedeeisen, die man erst vor ein
     paar Jahren errichtet hatte, war noch verschlossen. Millers Miene passte zum Anlass: Sie war so grau und bitter, als läge
     seine Mutter in der Halle.
    Um Viertel nach zehn – zehn Uhr war der verabredete Termin – tuckerte der Clio des Leichenbeschauers den Friedhofsweg herauf.
     Er war signalrot und gelb, wie das Werbefahrzeug eines Zirkusunternehmens. Dafür trug der Leichenbeschauer aus Metz wenigstens
     schwarz.
    Er nahm einen kleinen Arztkoffer aus dem Kofferraum und schloss den Wagen umständlich ab. Dann prüfte er noch einmal alle
     drei Türen und ging um das Fahrzeug herum, und erst als er sich sicher war, dass kein Reifen auf dem Bordsteinrand stand,
     kam er gemessenen Schrittes zu uns herüber. Er nahm Haltung an und stellte sich vor.
    »Masson.«
    Nicht mehr. Nur Masson. Dann drückte er jedem von uns dreien die Hand. Er machte dabei ein Gesicht, als hätte er es mit nächsten
     Angehörigen des Erhängten zu tun. Miller und Straßer gaben sich Mühe, diesen Eindruck zu bestätigen.
    Danach wandte sich Monsieur Masson aus Metz nicht etwa der Leichenhalle und seiner Arbeit zu, nein, er stellte sich neben
     uns und wartete.
    »Vielleicht sollten wir dann beginnen«, sagte ich und schaute auf meine Armbanduhr. »Ich habe heute noch andere Termine.«
    Louis blickte ebenfalls auf seine Uhr und seufzte. Masson rührte sich nicht. Miller bohrte in der Nase. Eine groteske Situation.
    |83| »Haben Sie einen Schlüssel für die Halle?«, wandte sich Louis flüsternd an mich.
    »Nein, natürlich nicht. Wie käme ich dazu?«
    »Na also«, sagte Louis und streckte sich.
    Wir warteten. Es wurde halb elf. Viertel vor elf.
    »Haben Sie keine anderen Leichenschauen heute Morgen?«, fragte ich Masson.
    »Jeder Tote ist mir der wichtigste«, antwortete er. Ich war ihm wohl auf den Schlips getreten.
    Da endlich bog der schwere Daimler des Bürgermeisters von seinem Grundstück in die Straße ein und fuhr im Schritttempo die
     wenigen Meter bis zum Friedhof.
    Brück parkte in der Einfahrt. Er stieg aus und betätigte mit dem Schlüssel die Fernbedienung. Die Zentralverriegelung rastete
     hörbar ein. Dann schlenderte er fröhlich, als handelte es sich um einen Besuch im Biergarten, auf uns zu.
    Er umarmte Masson wie einen Kriegskameraden, was dieser sich seufzend gefallen ließ. Miller und Straßer nickte der Bürgermeister
     bloß pietätvoll zu, während er mir auf die Schulter klopfte – wie einem Waisenjungen, dem man nach dem Tod des Vaters besonders
     Mut machen musste.
    Dann schritt Pierre Brück zum Portal der Halle, griff tief in seine Hosentasche und förderte einen kantigen Schlüssel hervor.
     Es folgte ein akrobatischer

Weitere Kostenlose Bücher