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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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verließ das Haus.
    Agneta. Sie brachte einen Eimer mit Abfall auf den Kompost. Dazu musste sie um das Haus herum, durch den kahlen Pferch mit
     den Hühnern und den Schweinen. Immerhin – sie war also nicht von den Polen, deren Wagen ich nachts gesehen hatte, entführt
     worden.
    Sie war noch in Schauren. Sie war noch bei mir.
    Als ich oben von der Baumkrone aus Agneta unten im Pferch sah und mich freute, dass sie nicht weg war, kam mir plötzlich ein
     völlig neuer Gedanke: Konnte es sein, dass mir in der Nacht, in der ich aus Bitche zurückgekommen war, am Ortseingang von
     Schauren die Kriminellen begegnet waren, die meinem Kollegen Alain Miller die Sitze aus seinem neuen Sharan gestohlen hatten?
     Wenn ja, dann war ich vielleicht der einzige Mensch in Schauren, der die Täter in dieser Nacht gesehen hatte. Ich musste mit
     Alain über meinen Verdacht sprechen. Vielleicht |89| konnte ich ihm ja helfen, seine gestohlenen Sitze wiederzubekommen.
    Während Agneta den Abfall in die unbefestigte Grube ausleerte, drehte sie sich um und schaute zum Haus hinüber. In ihrer Haltung
     lag etwas Lauerndes. Wollte sie etwa wieder fliehen?
    Ich stieg schnell vom Baum und trat vor bis zur Böschung. Ich riss die Arme hoch, wollte sie auf mich aufmerksam machen. Aber
     Agnetas Blick wich nicht von diesem schrecklichen Haus der Hagenaus. Wie ein geschundenes Tier, das vor Angst gelähmt war,
     weil jeden Moment sein Quälgeist aus der Tür treten konnte.
    Eine Welle des Mitleids überkam mich. Ich rief ihren Namen. Ihr Blick geriet in Bewegung, wurde unruhig, schweifte zum Waldrand
     hin, die Böschung hinauf. Warum sah sie mich nicht? Ich riss wieder beide Arme hoch. Ich winkte.
    Sie winkte zaghaft zurück.
    Komm! Komm her zu mir! Hier steht der, der dich retten wird. Doch Agneta rannte mit dem leeren Eimer zum Haus zurück und verschwand
     in der Tür, aus der sie gekommen war. Ihre Angst vor den Hagenaus war zu groß. Sie war ein einfaches Geschöpf, das nicht über
     so viel Kraft des Verstandes verfügte, sich selbst seiner Ketten entledigen zu können.
    Jetzt wirkte das Anwesen wieder wie ausgestorben. Nur die ausgehungerten Schweine grunzten in der Kuhle, in der sie sich verkrochen
     hatten, und irgendwo gackerte wahnsinniges Federvieh.
    Ich wartete. Irgendetwas musste geschehen. Sicher hatten sie mich rufen hören. Doch es geschah nichts. Im Haus der Hagenaus
     blieb es still.
    Ich stieg wieder in den Wagen. In mir war eine große Leere. Ich hatte so sehr gehofft, dass sie mit mir gehen würde. Nun stand
     ich wieder mit beiden Füßen auf der Erde: Agneta gehörte Charles Hagenau. Sie war seine rechtmäßig angetraute Ehefrau. Daran
     würde ich nichts ändern können. Eine Beute wie Agneta würden diese Waldmenschen nie wieder aus ihren Fängen lassen.
    |90| Ich startete den Motor und wollte schon wenden und wegfahren – da geschah es.
    Es war wie der Ausfall bei einer Belagerung. Sie liefen nicht, nein, sie stürzten aus dem Haus und bestiegen dann alle zugleich
     eine dieser klapprigen Kisten im Hof. Das kranke Gurgeln eines Motors war zu hören – und die Hagenaus schossen wie auf einer
     wilden Flucht davon.
    Was hatte das zu bedeuten? Ich rührte mich nicht von der Stelle. Vielleicht wollten sie nur sehen, was geschah, wenn sie verschwanden.
     Vielleicht stellten sie mir eine Falle. Vielleicht drehten sie am Waldrand um und kamen zurück.
    Aber sie kamen nicht zurück. Und Agneta war allein im Haus. Ich stellte den Motor ab, stieg aus und ging in einem weiten Bogen
     langsam die Böschung hinab, die zum Haus führte.
    Der tote Hund lag immer noch auf dem Hof. Die Küchentür stand offen.
    Es kostete mich einige Überwindung. Sogar der Dämon in mir zögerte, schließlich war es Hausfriedensbruch. Aber ich tat es.
     Ich betrat die Küche.
    Sie war in einem entsetzlichen Zustand. Ungewaschene Teller, verkrustete Bestecke. Im Spülstein, einem grauschwarzen Loch,
     faulten Essensreste. Es roch nach Zigarettenrauch und abgestandenem Bier. Überall standen leere Flaschen herum, in deren Bodensatz
     Kippen schwammen.
    Ich ging in den Flur. Dort roch es nach Moder und alten, muffigen Kleidern. Ich musste mich erst orientieren. Hier war es
     dunkel, die Fenster waren mit Verpackungsabfall und Lumpen zugehängt.
    Ich öffnete eine Tür. Bettenberge. Mief. Unglaublich viel Staub, der in der Luft schwebte wie Plankton. Ich schloss die Tür
     und ging weiter den Flur hinunter. Die Dielen knarrten. An einer Stelle war das

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