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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Akt: Brück stocherte eine Weile mit dem Schlüssel in dem Schloss herum. Es gelang ihm zwar aufzuschließen,
     er musste sich aber mehrmals gegen das schwere Portal werfen, bis es sich langsam öffnete.
    In der Leichenhalle war es angenehm kühl. Aber es roch streng. Monsieur Masson stellte seine Tasche auf einen Steintisch und
     zog die Jacke aus.
    »Wo ist der Proband?« Er kicherte wie eine alte Jungfer. Offensichtlich fand er seine Bemerkung witzig.
    Brück öffnete einen Vorhang. Der Tote vom Wackesberg lag in einem weißen Hemd auf der fahrbaren Bahre. Masson krempelte sich
     die Ärmel hoch.
    |84| »Dann mal los, Herrschaften!«
    Straßer und Miller schoben die Bahre zum Steintisch und hoben den Toten auf den Tisch. Masson kleidete die Leiche geschickt
     aus. Es handelte sich um einen alten Mann – zwischen siebzig und achtzig Jahre alt. Aber sein Körper war straff und wies kein
     Gramm Fett auf. Große Teile der Haut, vor allem an den Gliedmaßen, waren verkohlt. Die untere Gesichtspartie und der Hals
     waren blau angeschwollen. Die Augen traten unnatürlich aus den Höhlen, die Nase schien gebrochen zu sein.
    Masson tastete erst den Brustkorb des Toten ab, dann schaute er sich die Augäpfel genauer an.
    »Bitte umdrehen!«
    Miller und Straßer taten es. Dabei entwich Luft aus dem Darm. Es stank grauenhaft. Ich machte unwillkürlich einen Schritt
     zurück und schaute mich um: Aber es gab nirgendwo einen Stuhl. Straßer drückte mir einen metallenen Flachmann in die Hand.
    »Trinken Sie, bevor Sie umkippen!«
    »Was ist das?«
    »Quetsch.«
    »Davon wird mir erst recht schlecht.«
    Ich wankte und suchte Halt. Straßer stützte mich, gleichzeitig führte er mir mit der Linken die Metallflasche an die Lippen.
     Der erste Schluck brannte wie Feuer. Ich dachte, die Beine würden mir wegsacken. Sobald der Quetsch aber im Magen war, fühlte
     ich mich besser. Erheblich besser. Ich nahm noch einen Schluck. Wenig später hätte ich Bäume ausreißen können. Ich trat wieder
     an den Tisch. Masson schaute sich gerade die Wundmale am Hals an.
    »Die Sache ist klar. Der hat sich selbst aufgeknüpft.«
    Brück atmete sichtlich auf. »Dann können wir die Sache abschließen, Monsieur Masson?«
    Masson begutachtete die Fingerkuppen.
    »Glaub schon.«
    Brück sah auf die Uhr. »Es ist schon bald Mittag. Meine Frau hat eine Fischsuppe gekocht. Lottes Fischsuppe ist legendär ...«
    |85| Masson richtete sich auf. »Fischsuppe? Von Madame Brück?« Zum ersten Mal schien sein Interesse wirklich geweckt.
    »Sie wartet auf uns. Ich habe gesagt, um zwölf sind wir fertig.« »Sind wir«, sagte Masson. »Bitte noch mal auf den Rücken,
     den Kerl!«
    Straßer und Miller beeilten sich, auch sie hatten ihre festen Pläne für den Mittagstisch.
    »Dann können wir den armen Kerl also begraben, und er muss nicht nach Metz?«
    Masson fingerte noch hier und da herum, wie ein Arzt, der in Eile ist, sich aber seiner Sache sicher sein will.
    »Dem können wir jetzt seine Ruhe gönnen, hat sicher kein schönes Leben gehabt.«
    »Wir spendieren ihm ein Armengrab«, erklärte Brück und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich fragte mich, wieso der Bürgermeister
     eigentlich bei der Leichenschau zugegen war. Er hatte sicher Wichtigeres zu tun, und den Schlüssel für die Halle hätte er
     durch einen Gemeindeangestellten vorbeibringen lassen können. Offensichtlich war der Tote vom Wackesberg aber für Pierre Brück
     eine Herzensangelegenheit geworden.
    Masson runzelte die Stirn. »Was ist das denn?«
    »Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Brück besorgt.
    Masson schloss die Augen und tastete den Hinterkopf des Toten ab – es sah aus, als führte er ein Kunststück vor.
    »Ich dachte bloß, ich hätte da ...«
    »Na ja, so ein Landstreicher, der hat natürlich überall seine Blessuren, ist ja auch kein einfaches Leben. Immer draußen,
     bei Wind und Wetter. Dafür bekommt er jetzt sein Armengrab, Gott hat auch ein Auge auf die Verlassenen«, leierte Brück im
     Einklang mit sich und der Welt.
    Aber ich sah die Schweißperlen auf der Stirn des Bürgermeisters und wusste, dass er in diesem Augenblick nichts mehr fürchtete,
     als dass Masson die Leiche des Erhängten nicht freigeben und damit sein schönes Geschäft mit Schwierz ruinieren könnte. Eine
     Mordermittlung in Zusammenhang mit dem Brand auf dem |86| Wackesberg – das würde der überempfindliche Musical-Impresario nicht gerne sehen.
    Masson lachte meckernd. »Man wird mit der

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