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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Zeit ganz schön komisch. Ich dachte eben, der hat ein Loch im Hinterkopf.«
    Auch Pierre Brück lachte – bei ihm klang es, als wäre er kurz davor zu ersticken.
    »Aber es war wohl nichts«, sagte Masson und ließ den Kopf los. Der Hinterkopf schlug auf die Steinplatte. Es klang, als wäre
     er aus Metall.
    »Haben Sie das gehört?«, fragte Masson unsicher.
    »Ich habe nichts gehört«, erklärte der Bürgermeister schnell. Das war eine amtliche Anordnung.
    »Hält mal jemand den Kopf hoch?«, bat Masson und beugte sich erneut über den Toten.
    Straßer schaute erst mich, dann Pierre Brück an. Brück blies genervt die Backen auf.
    Ich half Masson. Der Kopf war eiskalt und fühlte sich an wie ein Stück Schweineschwarte.
    Der Leichenbeschauer fingerte blind am Hinterkopf des Toten herum.
    »Schütteln Sie mal!«, sagte er.
    Ich tat es widerwillig. Dann machte es: Klick. Ein Projektil rollte über den Tisch und fiel klirrend auf den Steinboden der
     Leichenhalle. Wie das Abschiedsglöcklein der Andacht.
    Straßer bückte sich ächzend. Er hob das Projektil auf und hielt es hoch.
    »Aus einer Pistole, würde ich sagen.«
    Ich ließ den Kopf fallen. Diesmal gab es ein hohles Geräusch. »Meine Frau wartet!«, drängte Bürgermeister Brück. »Die Fischsuppe.«
    Doch der Leichenbeschauer achtete nicht mehr auf ihn. Seine Hand verschwand wieder im Nacken des Toten. Er befühlte etwas
     und wirkte dabei sehr konzentriert. Dann zog er die Hand wieder zurück und zeigte das erste Glied seines Zeigefingers. »So
     tief ist der Schusskanal. Aber ich komme nicht richtig ran.«
    |87| »Das ist ein Irrtum«, sagte Brück trotzig. »Wahrscheinlich ...« »Die Leiche kann nicht zur Beerdigung freigegeben werden«,
     schnitt Masson ihm das Wort ab. »Der Mann ist ermordet worden, mit einem Kopfschuss, und dann erhängt ...« Masson klang jetzt
     sehr gewichtig. »Ich verfüge hiermit eine Obduktion der Leiche. Sie muss sofort nach Metz zur Gerichtsmedizin gebracht werden.«
    Brück stürmte hinaus.
    »Und was ist jetzt mit der Fischsuppe, monsieur le maire ?«, rief Masson hinter ihm her, während er seine Sachen zusammenräumte.
    »Vielleicht bekommen Sie ja in Metz in der Gerichtsmedizin eine«, hörte man den Bürgermeister draußen brüllen, bevor er die
     Wagentür zuknallte.
     
    E s war wie ein Fluch. Ich wurde sie einfach nicht mehr los. Sie verfolgte mich. Nachts lag ich wach und dachte an sie. Tagsüber
     – mitten in der Arbeit – überkam es mich: Ich dachte unentwegt an Agneta. An Agneta, die schöne Polin, die die Hagenaus in
     ihrer Gewalt hatten.
    In diesen dunklen Tagen geriet ich in einen mir völlig unbekannten Zustand. Ich war nicht mehr ich selbst, ich war nur noch
     dieser Gedanke. Und ich tat Dinge, die ich mir nicht erklären konnte. Zum Beispiel setzte ich mich in den Wagen und fuhr los,
     ohne zu wissen, wohin und warum.
    Wenn ich dann hielt – warum hielt ich und warum ausgerechnet hier? –, befand ich mich im Wald, auf einer Anhöhe unweit eines
     Anwesens, das mir mittlerweile gut bekannt war und mir gleichzeitig Angst einjagte.
    Ich stieg aus und ging ein paar Schritte. Dabei hob ich die Schultern, ließ die Arme kreisen und atmete tief und rhythmisch
     ein. Eine Übung zur Entspannung meiner verkrampften Rückenmuskulatur. Zwar kam ich dabei außer Atem, aber ich wurde den Dämon
     nicht los. Im Gegenteil. Er schien sich angesichts solcher |88| Übungen nur noch wohler zu fühlen und begann sogar, sich über mich lustig zu machen.
    An einem dieser Abende zwang er mich dazu, auf einen Baum zu steigen. Ich tat das ohne Hast und ohne Aufregung. Ich fürchtete
     nicht einmal herabzufallen. Ich sagte mir, der Dämon wird schon wissen, wozu er dich treibt, er kennt deine Fähigkeiten besser
     als du selbst.
    Da saß ich also in meiner blauen Gendarmenuniform in der Krone einer lothringischen Eiche und beobachtete die Zuflucht der
     Barbaren.
    Unten tat sich lange nichts.
    Während ich da oben im Baum lauerte, kam mir plötzlich in den Sinn, dass die Hagenaus mich längst ausgemacht hatten und nun
     hinter den Vorhängen saßen und mich in meinem Baum beobachteten, wo ich doch gekommen war, sie zu beobachten. Vielleicht lachten sie über mich, vielleicht lachte sogar Agneta mit ihnen. Aber auch dieser schreckliche Gedanke
     rüttelte mich nicht auf. Ich war in der Hand einer fremden Macht.
    Dann öffnete sich die Tür. Ganz zaghaft. Wollten sie mich foppen? Eine Gestalt erschien. Sie zögerte. Sie

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