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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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die verfeinerte Lebensart der Franzosen erwacht. Über Umwege kam sie
     ins Saarland. Durch das Fernsehen. Durch die Erzählungen derjenigen, die sich trauten, von den goldenen Zeiten der deutschen
     Besatzung zu schwärmen. Vor allem hatten die Saarländer irgendwann in den Siebzigern mehr Geld in der Tasche – sogleich wollten
     sie auch im Kochtopf mehr geboten bekommen. Also trauten sich die ersten Studienräte und Künstler als Vorhut über die Grenze.
     Die köstlichen Dinge, die sie mitbrachten, animierten die anderen Mutigen, es ihnen gleichzutun.
    So gelangte auch ich in meiner Saarbrücker Zeit zum ersten Mal in einen französischen Supermarkt. Es war – wie bei so vielen
     Fortschritten in meinem Leben – auch diesmal mein Mentor auf der Polizeischule, der gute Dr. Backes, der mich einlud, bei
     ihm zu Hause flûtes mit Käse und bœuf grillé zu essen und dazu einen guten Rotwein zu trinken. Er führte mich in die Geheimnisse der französischen Küche ein. Und so entdeckte
     ich, welche Köstlichkeiten das Meer für uns bereithält. Jedem deutschen Fischmuffel kann ich nur raten, sich einmal ein Verkaufsbecken
     in einem Lothringer Supermarkt anzuschauen. Die bunte Vielfalt, dieses Ursuppengewimmel der Krebse, Aale, Lachse, Flundern,
     der graubraunen Seezungen, der vorsintflutlichen Welse, der rötlich-goldenen Meerbarben und der monströsen Seeteufel mit ihren
     braungrünen Kugelköpfen (die in Frankreich sehr beliebte lotte ) – das alles wird ihn auf der Stelle zu einem Liebhaber der Fischküche machen.
    Lotte . Ja, Lotte. Mittlerweile kribbelte es nicht mehr, wenn ich an sie dachte. Ich dachte an sie, wie man an eine Tante denkt,
     die sonntags zu Besuch kommt und die Kinder abküsst, obwohl die das nicht wollen. Wie war es nur soweit gekommen? Lotte hatte
     mir doch nichts getan. Mal abgesehen davon, dass sie so brüsk auf Agneta reagiert hatte. Ich glaube, wenn zwei Menschen, die
     sich lieben, sich entzweien, dann gibt es dafür nie nur einen einzigen Grund. Vieles war schon vor dem wunderbaren Erscheinen
     Agnetas schiefgelaufen. Lotte hing noch immer an Pierre |127| Brück. Ich war sicher, dass sie noch mit ihrem Gatten schlief, dass er noch ihr »Hase« und sie seine »Häsin« war. Sie war
     ihm immer noch zu Willen. Treu und brav. Als hätte es mich gar nicht gegeben. Als wäre die Einliegerwohnung unbewohnt. Das
     war es, was unsere Liebe getötet hatte: Lotte bekannte sich nicht zu mir.
    Nicht, dass ich erwartet hätte, dass sie ihren Mann verlässt. Wir lebten auf dem Dorf. Da löste man eine Ehe nicht so mir
     nichts, dir nichts auf wie in der Stadt. Aber niemand zwang sie, weiter mit ihm in einem Bett zu schlafen und das zu tun,
     was er von ihr erwartete. Schließlich betrog er sie seit Jahren, nicht nur mit der Gattin von Dr. Chariot – und das wusste
     jeder in Schauren. Trotzdem zog Lotte keine Konsequenzen. Deshalb musste sie sich auch nicht wundern, dass ich Agneta so schnell
     verfallen war. Aber was rede ich – jeder Mann wäre ihr verfallen, wenn sie ihn so angeblickt hätte, wie sie mich angeblickt
     hatte, als ich sie aus den Klauen der Hagenaus befreite.
    »Hallo«, sagte da ein Stimmchen.
    Ich fuhr herum. Sie stand vor mir. Agneta. Mein Blick fiel unwillkürlich in ihren Einkaufswagen – obwohl das unhöflich von
     mir war. Aber das ist ein normaler Reflex. Im Supermarkt schätzt man sein Gegenüber am besten ein, indem man sich die Waren
     anschaut, die er kaufen will. Agnetas Einkaufswagen war voll: vor allem mit ungesunden Süßwaren und billigen Spirituosen.
     Bei ihrem Einkauf ließ sie sich von einem unterarmlangen Einkaufszettel leiten. Offensichtlich hatten die Hagenaus sie mit
     genauen Anweisungen losgeschickt. Immerhin ließen sie sie allein in den Ort. Also hatte keiner von ihnen etwas von meinem
     heimlichen Besuch bemerkt, und ihre Wut wegen der Entführung der Polin durch mich und Straßer war verraucht.
    »Wie geht es Ihnen, Agneta?«
    Sie winkte müde ab. »Ach, ganz gut, Monsieur. Ich darf nicht klagen. Anderen geht es schlechter.« Sie schaute sich lauernd
     um, und dann flüsterte sie: »Tut mir schrecklich leid. Wegen neulich. Im Schrank. Sie wissen schon.«
    Ich wurde rot. »Schon gut. Mir ist übrigens etwas aufgefallen – |128| auch wenn das jetzt etwas eigenartig klingen mag: Aber ich glaube, Sie wären eine wunderbare Schauspielerin.«
    Sie schlug die Augen nieder. »Danke. Sie wissen ja gar nicht, was das für mich bedeutet, wenn

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