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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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an der
     Nase herumgeführt hat. Ich glaube, dieser Humpel-Jean geistert immer noch in den Köpfen herum.«
    Die beiden schauten mich nun treuherzig an. »Vielleicht war er’s ja wirklich«, sagte Louis leise. »Vielleicht war es aber
     auch sein Geist.«
    Da fiel Alain etwas ein. »Wer soll den Humpel-Jean erschossen haben? Die SS?«
    »Wer sonst?«, fragte Straßer gereizt. »Oder glaubst du, die Résistance war’s?«
    »Die SS hat doch solche Dienstpistolen gehabt«, erwiderte Miller.
    Ich nahm Straßer das Gutachten von Hummer aus der Hand und suchte die Stelle. »Hier steht: Walther PPK 6,35 mm Browning.«
    »Genau«, sagte Miller. »Die 6,35 mm Walther PPK Browning war die Dienstwaffe der SS.«

|124| 10. KAPITEL
    I ch ging einmal die Woche zum Einkaufen in den »Migros« am Ortsrand von Schauren.
    Der Parkplatz war gigantisch und immer voller Fahrzeuge, vom Geländewagen aus den höhergelegenen Dörfern über Limousinen mit
     deutschen Nummernschildern bis zu den rostigen Traktoren der Bauern aus der Umgebung. Nur in den Zeiten der Mittagsruhe war
     der Parkplatz leer, dann verwandelte sich der Bienenkorb in eine Geisterstadt.
    Französische Supermärkte sind wie ein Gotteshaus. Von außen plump und grau. Innen aber so feierlich und erbaulich wie eine
     gotische Kathedrale. Sie sind natürlich klimatisiert, haben keine Fenster, aber eine von Künstlern ausgefeilte Lichtregie.
     Die Regale sind heilige Schreine, die Tiefkühltruhen mit dem liebevoll zerschnittenen Fleisch von Schwein, Rind, Geflügel
     und Wild wahre Sarkophage und die Fischtheke ist meistens ein Aquarium, das mit jedem mittelstädtischen Zoo in Deutschland
     konkurrieren kann. Und erst die Stimmung der Käufer. Niemand lärmt, man bewegt sich mit dem Einkaufswagen wie auf dem Weg
     zur Kommunion. Das Volk steht andächtig vor den Auslagen – ob Bauer oder Sparkassenleiter, ob Bürgermeister oder Dorfsäufer.
    Uns Saarländern war die französische Lebensart ja nie so fremd gewesen wie anderen Deutschen – dennoch staunen wir noch heute
     über die soziale Inbrunst und die kulinarische Frömmigkeit der Franzosen. Im Vergleich zu den Auslagen in einem »Migros« wirkt
     ein saarländischer Supermarkt wie eine Dorfkapelle.
    |125| Ich muss zugeben, dass ich bei aller Reserve diesem sakralen Ernst gegenüber die Finesse der französischen Verbraucher von
     jeher bewundere – auch wenn ich mich im Schaurener »Migros« immer noch bewege wie ein amerikanischer Tourist.
    Mein bevorzugter Ort ist die Fischtheke. Allein die Schalentiere. Die Theke ist wie eine weihnachtliche Krippe. Erst in den
     letzten Jahren hatte ich Fisch und andere Meerestiere zu schätzen gelernt. Zwar war es in meiner Kindheit üblich gewesen,
     dass freitags kein Fleisch auf den Tisch kam – aber der Fisch meiner saarländischen Mutter war nicht nur eine Notlösung in
     Anbetracht des katholischen Fastengebotes, er war auch eine Strafe für alle Sünden der letzten sieben Tage gewesen. Sie kaufte
     ihn auf dem Markt der nächsten Stadt, doch dort wurden nur Kabeljau und Seelachs angeboten – der Einfachheit halber oft schon
     am Marktstand in Fett gebraten. Meine Mutter ließ sich den warmen Fisch in Papier einschlagen und erledigte mit ihm in der
     Netztasche ihre übrigen Einkäufe. Dann fuhr sie in unser Dorf zurück – mit dem Autobus, was seine Zeit kostete. Bis sie zu
     Hause eintraf, war der Fisch kalt und zerdrückt. Sie briet ihn deshalb noch einmal in Fett. Wenn ich aus der Schule nach Hause
     kam und unterm Küchenfenster den doppelt gebratenen Kabeljau roch, zu dem es auch nie etwas anderes als Kartoffelsalat gab,
     verging mir selbst der größte Heißhunger. Fisch war für mich darum lange nichts anderes als ein katholisches Strafgericht
     gewesen.
    Dann war hinter Saarbrücken die Grenze weggefallen. Natürlich fiel sie nicht wirklich. Es hatte in meiner Kindheit kein anderes
     Hindernis als einen Schlagbaum gegeben, der an kleinen Übergängen noch dazu immer hochgeklappt war. Aber die Saarländer waren
     dennoch nicht nach Frankreich gefahren. Zumindest die nicht, die ich kannte. Das französische Essen war der Generation meiner
     Eltern nicht geheuer gewesen, es war ihnen zu kapriziös, zu kompliziert – und zu teuer. Die Saarländer auf dem Land hatten
     deftige, simple Köstlichkeiten geliebt. Und sie mochten die Franzosen nicht. Sie fürchteten, von ihnen übers Ohr gehauen zu
     werden.
    |126| Doch in den 70er Jahren war plötzlich die Neugier auf

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