Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
jemand sie vielleicht in eine Falle locken wollte, verursachte ihr ziemliches Magenkneifen. Hoffentlich meinte er es ehrlich, dachte sie bang. Was Hieronymus Black anging, versagte ihr Instinkt. Immer wieder ließ sie sich von romantischen Anwandlungen ablenken, sodass sie kein eindeutiges Urteil über ihn fällen konnte. Ja nicht einmal die Lektüre von Dr. Beils Artikeln hatte sie vom General ablenken können. Zum Glück hatte sie genügend Angst, um nachher auf keinen Fall seufzend in seine Arme zu sinken. Dennoch sagte sie zu Alfred: »Vielleicht sollte ich allein mit ihm reden. Wenn Sie in der Nähe sind, fürchtet er vielleicht, eine Abreibung zu bekommen.«
»Sonderlich furchtsam wirkte er nicht auf mich«, entgegnete Alfred. »Wenn er feige wäre, hätte er in seinem Alter noch keine vier Sterne auf der Schulterklappe. Tut mir leid, Mylady, dass ich das sagen muss, aber ich halte Ihren Vorschlag für inakzeptabel.«
»Aber ich denke, dass er mir mehr erzählen würde, wenn er sich sicher fühlte.«
»Auch unsicher kam er mir nicht vor.«
Violet seufzte. »Ach, Alfred, wollen Sie heute nicht verstehen? Einem schutzlosen Mädchen gegenüber wird er offener sein, als wenn hinter mir ein Schläger steht. Und bevor Sie beleidigt sind, Alfred: Ja, Sie sehen verdammt wehrhaft aus.«
»Ich verstehe Sie schon, Mylady, aber Sie haben nicht bedacht, dass Sie nicht die Spur wie ein wehrloses Mädchen aussehen. Black schien über Ihre Eskapaden im Bilde zu sein, was er entweder der Bekanntschaft mit Lady Sharpe verdankt oder der Komplizenschaft mit dem Mörder. Für den Fall, dass Letzteres zutrifft, werde ich Sie auf keinen Fall allein lassen.«
Violet blieb nichts anderes übrig, als einzulenken. »Also gut, Alfred, Sie dürfen mich beschützen. Allerdings bestehe ich darauf, dass Sie ein Stück hinter mir bleiben. Für den Fall der Fälle habe ich ja meinen Schirm dabei. Sollte Black irgendwas versuchen, ist er um eine schockierende Erfahrung reicher. Und sollten Sie Gefahr wittern, dürfen Sie natürlich ohne meine ausdrückliche Anweisung eingreifen.«
Alfred deutete eine Verbeugung an. »Sehr wohl, Mylady.«
Violet nickte ihm zu, dann stieß sie das Tor zum Friedhof auf.
Das Knirschen der Kiesel unter ihren Schnürstiefeln kam ihr lauter vor als gestern. Oder war das ihr Herzschlag?
Erst jetzt fiel ihr ein, dass Black nicht gesagt hatte, wo sie sich treffen sollten. Die Totenstadt Highgate war groß -unzählige kleine Gräber, dazu Statuen und Grüfte in allen Größen. Sollte sie zu der Gruft des Geheimbundes gehen? Nein, das war nach der gestrigen Erfahrung mit den beiden Männern keine gute Idee.
Und irgendein Punkt auf dem Friedhof wäre auch unpassend, denn wo sollte er sie in diesem Gewirr suchen?
Leider wusste sie kaum etwas über die Familie Black, lediglich der Name war ihr geläufig. Vielleicht hätte sie beim Privatunterricht ihrer Mutter doch besser aufpassen sollen, statt ihre Gedanken bei Zahnrädern, Dampfrohren und Gasometern zu haben.
Doch wenn sich Black schon im Hause der Sisslebys aufgehalten hatte, würde er vielleicht auch wissen, wo deren Familiengruft war. Violet erinnerte sich noch vage an die Beerdigung von Lord Arthur. Damals war sie vielleicht zehn oder elf gewesen und hatte gar nicht gewusst, was sie da sollte. Lord Sissleby war für sie ein vollkommen Unbekannter, hatte sie doch die meiste Zeit ihres Lebens damals noch mit ihrer Nanny in der Kinderstube und im Garten verbracht. Doch dann hatte sie etwas entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Die Vorrichtung, mit welcher der Holzsarg in den Sarkophag befördert wurde, hatte aus zahlreichen Zahnrädern und Seilen bestanden, eine Maschine, die den Trägern die Arbeit erleichtern sollte. Wie die Zahnräder ineinandergriffen, hatte Violet dermaßen fasziniert, dass sie später in ihrer Kinderstube Zahnräder aus Pappe ausgeschnitten und versucht hatte, sie an Strohhalmen ebenso ineinandergreifen zu lassen.
Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf Violets Gesicht, doch sie vertrieb die Bilder schnell wieder, denn sie musste sich nun auf den Weg konzentrieren. An dem Engelpaar vorbei, dann auf die großen Ulmen zu und links an der Gruft der Cornwalls entlang …
Ah, da war sie. Wie eine kleine Ausgabe des Sissleby-Landhauses thronte die Gruft in der Dunkelheit. Zwei Engel flankierten den Kiesweg zur Eingangstür, neben der sich zwei dorische Säulen erhoben. Die mit Rankenmustern verzierte Tür hätte so auch ein
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