Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Stadtpalais zieren können und zeigte deutlich den Reichtum der Familie Sissleby.
Während sie mit der linken Hand ihren Schirm fest umklammert hielt, zog Violet mit der rechten ihre kleine Taschenuhr hervor und ließ den Deckel aufschnappen. Zehn Minuten vor Mitternacht. Nun sage noch einer, dass Frauen unpünktlich sind!
Nachdem sie sich umgesehen und vergeblich nach Alfred Ausschau gehalten hatte – der ihr allerdings ohne Zweifel gefolgt war, nur verbarg er sich gut –, lehnte sie sich an den Sockel des linken Engels. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie von hier aus einen großen Teil von Highgate überblicken konnte, das den Namen Totenstadt nicht zu Unrecht trug, wie sie fand. Da gab es einen Stadtteil, in dem die Bürger und Handwerker ihre letzte Ruhe fanden, einen Stadtteil für den niederen Adel und einen für den Hochadel, jeder Teil streng abgegrenzt von den anderen. Auch ein Armenviertel fehlte hier nicht. Diese Menschen wurden in einfachen Gräbern am Rand bestattet, wie sie am Stadtrand gelebt hatten.
Eigentlich, ging es Violet durch den Sinn, war Highgate ein recht genaues Abbild Londons.
Wieder zog sie ihre Taschenuhr hervor. Mittlerweile war es fünf Minuten nach Mitternacht.
»Bitte verzeihen Sie meine Verspätung, Lady Adair.«
Violet wirbelte herum und presste die Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Aus dem Schatten neben der Gruft trat Hieronymus Black, in seinem Aufzug kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Nur die weiße Haarsträhne leuchtete im spärlichen Mondschein.
»Könnten Sie es unterlassen, mich ständig irgendwie zu erschrecken?«, fauchte sie, während sie versuchte, ihr pochendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Sie sollten immer auf Ihren Rücken achten, Lady Adair, unehrenhafte Gegner ziehen den Angriff von hinten vor.«
Ein Schauder überlief Violet, wie sanft er doch sprach! »Sind Sie etwa ein solcher Gegner?«, fragte sie und klang dabei vermutlich nicht gerade wie jemand, der in der Lage war, einem Angriff zu widerstehen. Was war nur mit ihr los? Jetzt hatte dieser Kerl sie schon zum dritten Mal überrascht, und sie stand vor ihm, als hätte er ihr gerade Rosen geschenkt.
»Nein, ich bin ein ehrenvoller Soldat«, entgegnete er lächelnd, nahm ihre Hand und küsste sie formvollendet.
Violet schnappte überrascht nach Luft. Wie konnte er es wagen, sie anzufassen! Eigentlich müsste sie ihm gleich eins mit dem Schirm verpassen.
Doch alle Kraft schien sie verlassen zu haben. Sogar ihre Knie zitterten, als seine Lippen sanft ihren Handrücken streiften. Wie warm sich sein Mund anfühlte … Plötzlich stellte sich Violet vor, wie es wäre, diese Lippen auf ihren zu spüren. Doch bevor sie in diesem Wunschtraum versinken konnte, meldete sich ihr Verstand wieder zu Wort. Das kann doch wohl nicht wahr sein!, schien eine kleine Stimme ihr zuzurufen. Du bist hier nicht bei einem romantischen Stelldichein, sondern es geht um die Mordfälle, und viele Menschen sind in Gefahr.
»Weshalb wollten Sie mich sprechen?«, fragte Violet also beinahe ein bisschen zu ruppig, doch das war ihre einzige Möglichkeit, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Weil ich Ihnen noch einmal ans Herz legen möchte, sich aus der Sache rauszuhalten.«
»Und wenn ich mich nicht raushalten will? Nicht raushalten kann?«
»Dann fürchte ich, schweben Sie und Ihre Familie in großer Gefahr.«
Das tun wir ohnehin, dachte Violet und schnaufte spöttisch. »Richten Sie Lady Sharpe meinen Gruß aus und sagen Sie ihr, dass ich mich nicht einschüchtern lasse.«
»Lady Sharpe?«
Violets Augen wurden schmal. Endlich wurden die romantischen Anwandlungen von Zorn überdeckt. »Nun tun Sie doch nicht so, als wüssten Sie von nichts! Sie waren auf unserem Ball, genauso wie Lady Sharpe! Ich bin sicher, dass sie Sie geschickt hat, um mir Angst einzujagen, nachdem ihre Schläger nichts ausrichten konnten.«
Black wirkte verwirrt. »Annabelle Sharpe hat Ihnen Schläger auf den Hals gehetzt?«
»Ja, da staunen Sie über Ihre Chefin, was?«
Black schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht meine Chefin. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie Ihnen ihre Leute auf den Hals hetzt. Bei mir wäre das etwas anderes, sie hat mich seit meiner Rückkehr im Visier, und ich …«
Violet legte den Kopf schräg. »Ja?«
»Nun ja, sagen wir es so, Lady Sharpe und ich sind nicht besonders gut aufeinander zu sprechen.«
»Aus welchem Grund?«
»Einem privaten, der Sie nichts angeht.« Black
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