Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Oberlippe und Kinn hatte er einen rotbraunen Bart, seine Augen waren unter buschigen Augenbrauen und schweren Lidern verborgen. Dafür stach sein Kinn lang hervor.
Violet schnappte nach Luft und hätte sich um ein Haar einen Schnitt von einer der größeren Spinnen zugezogen, doch Black, der keinesfalls überrascht wirkte, Lady Sissleby und ihrem Liebhaber gegenüberzustehen, reagierte geistesgegenwärtig und schoss.
Die Spinne gab ihren Geist auf, und Violet dämmerte, mit wem sie es hier zu tun hatte. Natürlich! D. M.! Der grinsende Kerl mit dem Maskengesicht war kein Geringerer als der Duke of Moray, ein ziemlich entfernter Verwandter Ihrer Majestät, aber auch wenn er in den untersten Rängen der Thronfolge rangierte, hatte er eindeutig einen Anspruch auf die Krone.
Natürlich würde er auf normalem Wege nie zum König gekrönt werden, aber wenn die Königsfamilie sorgsam reduziert wurde …
»Wenn ich mich nicht täusche, ist das Ihre Debütantin, Lady X.«
Lady X? Während sie stutzte und sich fragte, wie Lady Agnes zu diesem Namen kam, schockte sie eine weitere Spinne, die allerdings nicht gleich umkippte, sondern erst einmal einen verrückten Tanz aufführte, als hätte sie ohnehin einen Schaden in der Leiterplatine.
Ah ja, richtig, der Mädchennamen von Lady Agnes war Xavier! Wie hatte sie das vergessen können!
»Ich glaube kaum, dass sie es zum Debüt schaffen wird«, entgegnete Lady Sissleby mit einem höhnischen Lachen, als sie sich vom Schreck, Violet wiederzusehen, erholt hatte. »Vielleicht, wenn sie sich nicht eingemischt hätte, doch so …«
»Sie haben versucht meinen Vater zu töten!«, entgegnete Violet wütend. »Wie soll ich mich da nicht einmischen! Außerdem, warum besinnen Sie sich gerade jetzt auf Ihren bürgerlichen Namen, Agnes?«
Lady Sissleby erbleichte. Dass sie vor ihrer Ehe mit Lord Sissleby eine Bürgerliche gewesen war, wussten nur sehr wenige Leute. Dass Violet es erfahren hatte, war dem Umstand geschuldet, dass sie als kleines Mädchen Einschlafschwierigkeiten gehabt hatte. Während ihrer geheimen Wanderungen durch das Haus hatte sie einmal ein Gespräch ihrer Eltern belauscht, in dem sich ihre Mutter darüber ausgelassen hatte, wie Lord Sissleby nur auf die Idee kommen konnte, die Gesellschafterin seiner Mutter zu heiraten. Obwohl sie die Bedeutung des Gesagten damals gar nicht richtig begriff, hatte es sich doch in ihrem Gedächtnis festgesetzt.
»Das wirst du bereuen, kleine Ratte!«, fauchte sie und richtete eine Waffe direkt auf Violet. Auf einmal gab es einen Knall, dann sah Violet schwarz. Aber nicht etwa, weil ihr die Sinne schwanden oder sie ihr Sehvermögen eingebüßt hätte. Nein, sie sah schwarze Anzüge, in denen ungefähr vier Dutzend Geheimagenten steckten. Angeführt wurden sie von Lady Sharpe, die in ihren Händen ein zweiläufiges Gewehr trug, in dessen Ladekammern es bösartig rot leuchtete. Plasma, dachte Violet fasziniert, doch ihre Freude, die Spy Mistress zu sehen, erhielt einen herben Dämpfer, als Lady Annabelle sie erblickte.
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass Sie sich aus der Sache raushalten sollen!«, bellte sie. Offenbar war sie doch nicht darüber informiert worden, dass Violet weitergemacht hatte.
»Das wird Konsequenzen für Sie haben!«, drohte die Spy Mistress, dann eröffnete sie umstandslos das Feuer auf die Spinnen – und auf Moray und Lady Sissleby. Dass gleich der erste Strahl haarscharf an Violet vorbeiging, war gewiss kein Zufall, aber Violet, glücklich, schon zum zweiten Mal der Hinrichtung durch Lady Sissleby entgangen zu sein, nahm der Spy Mistress ihre Wut nicht übel.
Sie wurde von Alfred zur Seite gezogen und spürte wenig später eine kalte Marmorwand an ihrem Rücken. Leuchtend rote Strahlen zischten nun durch den Raum. Von dem Licht geblendet konnte Violet im ersten Moment weder erkennen, wo Black war, noch, wie es den beiden Hochverrätern erging.
»Wir haben deinen Vater, Violet!«, kreischte eine Stimme, dann brach Lady Agnes in hysterisches Lachen aus. »Komm, hol ihn dir, wenn du dich traust!«
Im gleichen Augenblick stieß Lady Sharpe einen sehr unflätigen Fluch aus. Offenbar war es Moray und Sissleby gelungen, zu flüchten – was ein regelrechtes Kunststück in diesem Gang war. Doch da strömte Violet auch schon Rauchgeruch in die Nase. Wenig später waberten die ersten Schwaden durch den Gang und brachten die Agenten zum Husten. Offenbar hatten die beiden Verräter Rauchgranaten benutzt, um ihren
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