Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
besonders am Herzen?«
Ertappt schnappte Violet nach Luft. Vielleicht konnte sie ja doch Gedanken lesen?
»Nun ja, ich …« Violet zögerte. Eigentlich passte das ganz und gar nicht zu ihr, aber die Präsenz von Lady Sharpe schüchterte sie jetzt doch ein wenig ein. Wenn Annabelle auch nur ein Wort falsch verstand, konnte sie dafür sorgen, dass die Familie Adair bei der Krone im Handumdrehen in Misskredit geriet. Ihr Vater wusste um die Gefährlichkeit dieser Frau. Warum nur hatte er sie eingeladen?
»Fragen Sie ruhig, Lady Violet. Ich glaube kaum, dass Sie mir eine Frage stellen könnten, die ich Ihnen übel nehmen würde.«
Wirklich?, dachte Violet. »Also gut, mich würde interessieren, wie Sie es geschafft haben, als Frau an so einen wichtigen Posten zu kommen. Eigentlich werden wir ja eher … übergangen. Jedenfalls was die Karriere angeht.«
Annabelle lächelte schweigend in sich hinein.
»Das war eine dumme Frage, oder?« Violet zog zweifelnd die Augenbrauen hoch.
»Nein, eine sehr interessante«, entgegnete die Spy Mistress jovial. »Ich bin mir nur zu gut dessen bewusst, dass ich etwas geschafft habe, das vor mir noch keiner Frau gelungen ist. Natürlich gibt es hier und da Bemühungen der Frauenbewegung, Gleichberechtigung zu erlangen, aber bis dahin wird es wohl noch ein weiter Weg sein.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie irgendeinen unliebsamen Gedanken vertreiben. »Nun ja, ich hatte schon immer eine Vorliebe für die Polizeiarbeit. Die Polizei wollte mich natürlich nicht, aber meine Familie ist reich, und so habe ich Zugang über die Wissenschaft gesucht. Ich eignete mir Kenntnisse in Pathologie und Forensik an, erlangte Zugang zu Sektionssälen und bestach einige Totengräber, um mir meine eigenen Präparate zu besorgen.
Irgendwann erschien ein Mann bei mir, der mir anbot, für den Secret Service zu arbeiten. Ich nahm an und erledigte meine erste Mission erfolgreich.«
»Seit wann bietet der Secret Service Frauen Jobs an?« Violet hatte dergleichen noch nie gehört, sonst hätte sie sich vielleicht schon beworben. Als Technikerin für innovative Verbrechensbekämpfungsmittel.
»Hin und wieder gibt es Zielpersonen, die eine Frau besser ausspionieren kann. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Violet wollte schon zugeben, dass sie keineswegs verstand, doch dann fiel bei ihr der Penny.
»Sie meinen …«
Annabeiles warnendes Lächeln brachte sie zum Schweigen. »Der Spanier, den ich aushorchen sollte, war sehr beredt, nachdem ich ihn mit meinem Charme überzeugt hatte. Nach und nach erhielt ich größere Aufträge, und nachdem ich bei der Vermittlung einer wichtigen Allianz sogar meinen Vorgesetzten ausgestochen hatte, beschloss Ihre Majestät, mir den Posten Ihrer Spionagechefin zu geben. Vielleicht werde ich irgendwann meine Memoiren veröffentlichen, dann erfahren Sie die ganze Geschichte.«
Verblüfft starrte Violet sie an. Alles klang so einfach, als hätte sie es nebenbei geschafft. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Nicht umsonst hatte Violet ihre Entwürfe auf einer verborgenen Tischplatte und ihr Labor in Southwark. Nichts, was eine Frau in einer Männerwelt erreichen wollte, erreichte sie einfach so.
Auch Annabelle Sharpe war gewiss nicht einfach so an ihren Job beim Secret Service gekommen.
»Sie sind nicht nur ein offener Mensch, Sie haben ganz offensichtlich auch ein Geheimnis«, sagte Annabelle plötzlich. Während Violet nachgedacht hatte, musste die Spy Mistress sie genau beobachtet haben.
Ertappt riss Violet die Augen auf. »Ich? Ein Geheimnis?«
»Jeder Mensch hat eines. Auch Sie. Sie verheimlichen es vor Ihrem Vater, nicht wahr?«
»Aber Lady Annabelle …«
Wieder lächelte sie. »Sie müssen es mir nicht verraten, denn ich glaube, es ist ganz harmloser Natur. Aber seien Sie vorsichtig, was immer Sie tun. Jedes Ding hat eine dunkle Seite …«
Ein Schrei zerriss plötzlich den Schleier aus Gemurmel und gedämpfter Musik. Er kam von einer Frau, die mit entsetztem Gesicht zurückwich und dabei zwei andere Frauen beinahe von den Füßen riss.
»Lord Stanton!«
Violet sah gerade noch so, wie ihr Schwiegervater in spe zu Boden sank. War das Blut an seinem Mund? Ehe sie es sich versah, stürmte Annabelle los, dass die vielen Ketten an ihrem Kleid nur so klimperten. Ihr weites Kleid und das Korsett schienen sie nicht im Geringsten zu behindern. Da die Leute ihr augenblicklich Platz machten, als trüge sie eine Kiste Nitroglyzerin vor sich her, schloss
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