Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
umwandte, sah sie, dass der Saal größtenteils leer war. Nur noch ein paar Leute hielten sich in der Nähe der Türen auf. Wahrscheinlich hofften sie, von den Polizisten, die sicher bald eintreffen würden, etwas aufzuschnappen, das sie dann unter die Leute bringen konnten.
Da sie ihren Vater im Ballsaal nicht sah, ging sie ins Foyer, und tatsächlich fand sie ihn dort zusammen mit Dr. Byrton an der Treppe. An der Falte zwischen den Augen ihres Vaters erkannte Violet, dass er sich gewaltige Sorgen machte.
»Papa, verzeih, wenn ich störe«, begann sie vorsichtig, als sie die beiden Männer erreicht hatte.
Als er Violet sah, wirkte Lord Reginald noch besorgter. Wahrscheinlich fiel ihm jetzt ein, dass mit Lord Stanton auch ihr potenzieller Schwiegervater ums Leben gekommen war.
»Was gibt es denn, mein Kind?«
Violet atmete tief durch. »Lady Sharpe hat mich gebeten, dir auszurichten, dass sie mit dir sprechen möchte. Da es wahrscheinlich um Lord Stanton geht, wäre es vielleicht gut, wenn du Dr. Byrton mitnimmst.«
Der Arzt und ihr Vater tauschten einen kurzen Blick, dann nickte Lord Reginald. »In Ordnung. Geh du besser auf dein Zimmer, nach der Aufregung brauchst du Ruhe.«
Als er sich umgewandt hatte, blies Violet die Wangen auf. Warum nur wollten alle sie auf ihr Zimmer schicken? Nur wenige Augenblicke zuvor hätte ihr Vater sie am liebsten auf der Stelle mit Percival verlobt und das Aufgebot bestellt! Und jetzt war sie wieder zum Kind degradiert worden.
Da sie zwar Lady Sharpe, aber nicht ihrem Vater widersprechen konnte, setzte sie sich seufzend in Bewegung. Dabei fiel ihr seltsamerweise wieder der Mann mit der Augenklappe ein. Ihn hatte sie in dem Gedränge nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich war er bereits gegangen.
Als sie am Salon vorübereilte, sah sie ihre Mutter auf der Chaiselongue liegen. Alfred, der neben ihr hockte, hielt ihr ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase. Offenbar hatte er einen der Laufburschen zum Totengräber geschickt.
»Es wird alles gut, Mylady, Sie werden sehen«, redete er beruhigend auf Lady Emmeline ein.
»Das ist eine Katastrophe«, murmelte sie, während sie den Kopf hin und her wiegte und die Hand auf die Stirn presste. »Eine Katastrophe! Wir sind ruiniert.«
»Kann ich irgendwas tun?«, meldete sich Violet von der Tür her zu Wort, woraufhin Alfred den Kopf schüttelte. Ihre Mutter schien sie nicht zu hören, denn sie setzte ihr Gemurmel fort.
Violet zog sich daraufhin zurück.
Auf ihr Zimmer wollte sie nicht, doch wohin sollte sie gehen? Zurück in die Halle? Oder ein wenig nach draußen, frische Luft schnappen?
Ratlos sah sie sich um. Die letzten Gäste verließen nun das Haus. Die Dienstmädchen händigten ihnen Mäntel und Hüte aus, der gerade eingetroffene Undertaker wies seine Gehilfen an, die Bahre in den Saal zu tragen.
Violet folgte den schwarz gekleideten Männern in gebührendem Abstand und blieb an der Saaltür stehen. Einer der Kellner wachte bei dem Toten, wahrscheinlich hatte Annabelle ihn dort postiert Oder war er vielleicht einer ihrer Leute? Man erzählte sich, dass sie ihre Leute in allen möglichen Gesellschaftsschichten hatte und es ihr auch nicht schwerfiel, Hilfskräfte und Spitzel zu engagieren. Wenn dieser Mann, der den Undertaker für einen simplen Diener beinahe ein wenig zu selbstsicher begrüßte, einer von ihnen war, bedeutete das vielleicht, dass die Spy Mistress aus einem bestimmten Grund die Einladung angenommen hatte.
Da weder von ihrem Vater noch von Lady Sharpe und Dr. Byrton etwas zu sehen war, mussten sich die drei zu einer Besprechung zurückgezogen haben. Violet fiel nur ein einziger Ort ein.
Ihre Gedanken rasten, als sie den Ballsaal hinter sich ließ und durch dunkle Korridore zum Arbeitszimmer im Winterflügel des Hauses ging. Warum war Lord Stanton plötzlich gestorben? Hatte Annabelle einen Hinweis erhalten, dass dies passieren könnte? Waren sie und ihre Leute hier gewesen, um ihn zu schützen? Wenn ja, hatten sie grandios versagt.
Da im Winterflügel Teppiche auf dem Parkett lagen, brauchte sie sich nicht einmal sonderlich anzustrengen, um nicht gehört zu werden.
Als Erstes vernahm sie die Stimme von Dr. Byrton. »Schaumiges Blut deutet darauf hin, dass entweder Lungenbläschen geplatzt sind oder Gift im Spiel war …«
»Dann möchte ich Sie um äußerste Diskretion bitten, Doktor«, entgegnete Annabelle. »Wir können uns keinen Skandal leisten.«
»Natürlich, Lady Sharpe, ich hatte auch nicht
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