Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
schlängelte sich Violet bereits an ihnen vorbei, rempelte dabei einen Mann an, der beinahe den Inhalt seines Glases auf seinen Gehrock kippte, und verschwand schließlich in der Menge. Das Stimmengewirr ringsherum konnte Violet nicht entwirren, doch es interessierte sie auch nicht, worüber sich die Leute unterhielten.
Als die Musik nun einsetzte, welche die Eröffnung des Büffets ankündigte, schien der gesamte Saal auf einmal den Atem anzuhalten. Als Violet den Hals reckte, um die Ursache für das Erstaunen auszumachen, entdeckte sie eine Frau in einem tiefschwarzen Seidenkleid, an dem zahlreiche silberne Ketten klimperten. Das Ende jeder Kette war mit einem anderen seltsamen Schmuckstück verziert. Hier ein Spiegel, da eine Lupe, auch Schlüssel und eine Giftflasche waren dabei. Die Insignien der Spy Mistress der Königin.
»Ein Skandal!«, hörte sie eine ältere Frau wispern, während sich ihre Gesprächspartnerin aufgeregt Luft zufächelte. »Ich kann nicht glauben, dass Sir Reginald sie eingeladen hat.«
Violet grinste breit. Zum ersten Mal sah sie die sagenumwobene Annabelle Sharpe – niemand sonst war die geheimnisvolle Unbekannte – mit eigenen Augen. Unter der einfachen Bevölkerung Londons wurde gemunkelt, dass sie eine von den Maschinenmenschen war, die in den Werkstätten der Königin gebaut wurden, um die Armee zu unterstützen. Doch wenn sie wirklich einem Labor entstammte, hatten die Wissenschaftler ganze Arbeit geleistet. Sie bewegte sich geschmeidig, ihre blauen Augen maßen wachsam jeden, der in ihr Blickfeld geriet. Violet konnte sich vorstellen, warum den Damen und Herren der Gesellschaft ihre Anwesenheit unangenehm war. Auch diese Kreise hatten ihre Geschichten über Annabelle Sharpe, und eine davon besagte, dass sie Gedanken lesen konnte. Wenn das stimmte, so würde sie in diesem Augenblick ein ziemliches Durcheinander entwirren und sehr viel Missgunst verkraften müssen.
Der Anblick der Spy Mistress elektrisierte Violet. Wenn diese Frau es geschafft hatte, solch einen hohen Posten zu erreichen, dann müsste es doch keinesfalls unmöglich sein, die beste Erfinderin Englands zu werden.
Es traf sich gut, dass ihr Vater Lady Sharpe gerade begrüßte. Violet postierte sich so auffällig in sein Blickfeld, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sie vorzustellen.
»Ah, was für ein Zufall!«, rief er aus, während er Violet warnend anfunkelte. »Lady Sharpe, darf ich vorstellen? Meine Tochter Violet. Violet, das ist die Spionagechefin der Königin.«
»Ich weiß … ahm, freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.« Annabelle lächelte. »Sie scheinen eine sehr offene junge Dame zu sein.«
»Manchmal zu offen, findet mein Vater, aber ich bemühe mich nach Kräften, mich zu bessern.«
»Wieso denn?« Annabelle blickte ihren Vater vorwurfsvoll an. »Offene Menschen sind die treuesten, Sir Reginald, das wissen Sie doch. Niemanden, der sein Herz auf der Zunge trägt, muss man fürchten. Ihre Tochter und ich könnten sicher gute Freundinnen werden, denn auch ich bevorzuge es, die Wahrheit zu sagen.«
»Glauben Sie nicht, dass Sie davon schnell gelangweilt wären?«, gab Reginald Adair ein wenig pikiert zurück.
Annabelle schüttelte vergnügt den Kopf. Wenn man sie so sah, konnte man sie für eine gewöhnliche junge Frau halten, die hier war, um sich zu amüsieren.
»O nein, dass ich tagtäglich mit Lügen und Geheimnissen zu tun habe, heißt noch lange nicht, dass ich auch Gefallen daran finde. Ich versehe nur deshalb meinen Dienst mit Leidenschaft, weil ich Geheimnisse aufdecken und die Wahrheit ans Licht bringen will. Privat umgebe ich mich ausschließlich mit ehrlichen Menschen, das ist erfrischend.«
Erfrischend fand Violet auch, dass ihr Vater nun einen hochroten Kopf bekam. Natürlich hielt er nichts davon, dass eine Frau ihm so unverhohlen Paroli bot wie Annabelle.
»Nun, damit mögen Sie recht haben. Wenn Sie mich für einen Augenblick entschuldigen würden …«
»Aber natürlich. Ihre Tochter wird mich sicher vorzüglich unterhalten.«
Ganz offensichtlich war es Reginald nicht angenehm, Violet mit ihr allein zu lassen. Aber was sollte er machen. Er verneigte sich kurz vor Annabelle, dann wandte er sich ab.
Violets Wangen glühten vor Aufregung. Sie durfte sich mit der geheimnisvollen Spy Mistress unterhalten!
»Nun, Lady Violet, ich sehe, dass Sie ziemliches Interesse an meiner Person hegen. Welche Fragen liegen Ihnen denn
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