Bombenbrut
schaut aber zuvor fragend zu Herbert Stengele.
Dieser nickt euphorisch, endlich scheint der Verkauf seiner Patente auf den Weg zu kommen, er lacht seinem nun offenbarten Sohn komplizenhaft zu und versichert ihm: »Dann gehen wir gemeinsam auf Tournee, zuerst nach Peking, dann nach Teheran. Wir zwei!«
Iris Köppke hakt sich bei beiden unter und verspricht: »Und ich gehe mit.«
22
Leon kommt auf dem Tan Son Nhat International Airport in Ho-Chi-Minh-Stadt an. Die Franzosen hatten den Flughafen während ihrer Kolonialzeit angelegt, die Amerikaner später als Militärflughafen genutzt. 2005 baute ein japanisches Konsortium das heutige, moderne Terminal.
Leon nimmt ein Taxi und fährt in sein Hotel. Im legendären ›Rex‹ hat ihm Schwanke ein Zimmer gebucht. Hier saßen einst die amerikanischen Offiziere und luden die Journalisten zu ihren Pressekonferenzen ein. Hier fand auch die letzte Pressekonferenz der Amerikaner statt, als die Truppen längst ihren Rückzugsbefehl im Tornister hatten und die US-Kampfhubschrauber aus Süd-Vietnam abrückten.
Leon sitzt in einem großräumigen Toyota mit Aircondition. Er schaut fasziniert aus dem Fenster und staunt wie ein kleiner Junge in einer fremden Welt. Auf den ersten Blick erkennt er keinerlei Kriegsspuren mehr, stattdessen eine moderne, pulsierende Stadt mit breiten Straßen, europäischen und japanischen Autos, Tausenden von Mopeds und ebenso vielen Radfahrern.
Sie passieren zunächst unzählige, heruntergekommene Plattenbauten, neben zum Teil ärmlichen Bambushütten, um wenig später teuer renovierte Paläste im kolonialen Stil, ehemalige Prachtbauten der Franzosen, zu sehen.
Die Fassaden werden zur Stadtmitte hin immer moderner, architektonische Glaspaläste wie in jeder Großstadt des Westens folgen, dann Kaufhausfassaden mit bekannten Logos und westlichen Namen und schließlich kommen sie an einem modernen Gebäudekomplex vorbei mit dem vertrauten blauen Schriftzug der Deutschen Bank.
Leon weiß noch nicht so recht, wohin er sich zunächst wenden soll. Er ist allein auf sich gestellt, kennt in Ho-Chi-Minh-Stadt keine Menschenseele, hat keine Kontaktadresse und versteht natürlich keinen Satz Vietnamesisch. Im Flieger hat er sich einen kleinen Wortschatz angelesen, damit er wenigstens Guten Tag und Auf Wiedersehen sagen kann.
Er aktiviert sein Handy, die Verbindung nach Deutschland funktioniert problemlos. Er wählt die Nummer von Lena, doch er erreicht nur ihren Anrufbeantworter. Immerhin hört er ihre Stimme in Tausenden von Kilometern Entfernung. Er sieht in seinen Gedanken das Telefon auf ihrem Schreibtisch stehen, und fragt sich: Ob sie gerade den Rasen mäht? Mit schlechtem Gewissen legt er auf.
Das Taxi hält. Leon steht vor einer überdimensionalen Ho-Chi-Minh-Statue, dahinter befindet sich ein schlossähnliches, weiß herausgeputztes Renaissance-Gebäude, darauf die rote Fahne mit dem fünfzackigen, gelben Stern. Optisch das einzige Relikt, das ihn an das aktuelle kommunistische Regime erinnert. Daneben steht das Hotel ›Rex‹, westlich modern, mit großer Leuchtschrift und bunten Blumenkübeln am Eingang.
Aus den kämpferischen Vietcongs wurden dienende Pagen. Ein Hotelangestellter in grüner Uniform mit goldenen Knöpfen schleppt seine Reisetasche aus dem Kofferraum des Taxis, der Fahrer verbeugt sich wegen einiger Münzen Trinkgeld und ein weiterer Hotelangestellter öffnet ihm devot die Tür.
Good Morning, Vietnam!, hätte Leon am liebsten geschrien, wie Robin Williams in dem legendären Antikriegsfilm von Barry Levinson, doch höflich grüßt er die Hotelangestellten mit »Xin chao«, wie er es im Flugzeug gelernt hat.
Nach dem Einchecken geht er in sein Hotelzimmer und stellt sich auf den Balkon. Er blickt in die Le-Lai-Street, wildes Hupen und grelle Motorengeräusche der kleinen überladenen Mopeds erfüllen die Straßenschlucht, Leon liest: ›We are back!‹ Ein Coca-Cola-Lkw rauscht am Hotel vorbei. Geht doch, denkt Leon, warum nicht gleich so? Und er fragt sich, warum erst zwei Millionen Tonnen Bomben abgeworfen werden mussten. Wo doch nun der Wirtschaftskrieg mit Cola und Pop-Music aus Hollywood so leicht zu gewinnen ist.
Leon geht in sein Zimmer zurück, er fühlt sich verlassen und einsam. Was soll er jetzt tun? Wo soll er anfangen, nach Herbert Stengele zu suchen? Ratlos ruft er den Kommissar in Singen an. Es ist 13 Uhr in Vietnam, das heißt 7 Uhr in Deutschland, da ist ein Petrijünger längst auf der Pirsch, denkt er.
Und
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