Bone 01 - Die Kuppel
haben, denn er spürte eine leicht brennende Berührung an der Schulter. Dann sprang er durch die Tür, rollte über den Boden und rappelte sich wieder auf. Er blickte zurück, doch das Monster hatte sich in die Dunkelheit hinter dem Türeingang zurückgezogen.
Keuchend und schwitzend verspürte Stolperzunge nur noch den Wunsch, nach Hause zu laufen und sich auf seine Felle zu werfen, um zu schlafen. Ein Kreischen ließ ihn innehalten. Ein Stück weiter an der Straße sah er eine Bluthaut, die sich halb aus dem Fenster eines Hauses beugte. Sie hatte sich in etwas verstrickt, und Stolperzunge hatte eine ungefähre Vorstellung, worum es sich handelte. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, und er empfand Mitleid für die Bestie. Anscheinend kamen jetzt von überall Wesen auf der Suche nach leichter Beute, doch stattdessen wurden sie selbst zur Beute.
Fleisch , dachte Stolperzunge. Indrani brauchte Fleisch, und in den nächsten Tagen würder er nicht imstande sein, ihr welches zu besorgen.
Also wandte er sich wieder der Bluthaut zu, die im Fenster feststeckte. Wahrscheinlich rief das Wesen um Hilfe, als es knurrte und mit den Zähnen rasselte. Doch Stolperzunge hörte weitere Schreie von Bluthäuten aus dem Gebäude und vermutete, dass in nächster Zeit niemand zu Hilfe eilen würde. Schnell brach er dem Wesen das Genick. Aus dem Zimmer dahinter hörte er schlagende Geräusche und dachte sich, dass sich dort mindestens noch ein Wesen aufhielt, das froh gewesen wäre, wenn jemand es durch einen Genickbruch erlöst hätte. Aber Stolperzunge hatte keine Zeit, sich darum Sorgen zu machen. Er zog seinem Opfer ein Knochenmesser vom Gürtel und schnitt ihm Streifen aus rotem Fleisch vom Arm. Dann hörte er das rutschende Scharren, mit dem eine der neuen Bestien in das Zimmer hinter dem Fenster kam. Die letzte Bluthaut wehrte sich noch einmal, bis ein Schlag wie von einer Trommel ihm ein Ende bereitete.
Stolperzunge lief die Zeit davon. Er hatte einen Ellbogen zur Hälfte durchgesäbelt, als das Messer und der Rest seiner Beute in die Dunkelheit des Hauses gerissen wurden. Ein Sprühregen aus warmer Flüssigkeit ließ ihn vom Fenster zurückweichen. Dann schob sich ein Kopf mit schwarz glänzender Haut nach draußen. Er hatte Augen, aber sie blieben geschlossen, und Stolperzunge fragte sich, ob das Wesen sie überhaupt öffnen konnte. Ein rundes, zahnloses Loch nahm den Rest des Kopfes ein, während der Körper unsichtbar blieb. Stolperzunge schätzte die Armlänge dieses Wesens ab und ging auf den entsprechenden Abstand. Der Kopf schwankte hin und her, am Ende eines röhrenförmigen Halses, der starr zu sein schien. Er wünschte sich, er hätte eine Steinschleuder dabeigehabt.
»Hier gibt es für d-dich heute Nacht kein Fleisch m-m-mehr«, sagte er.
Der Mund wurde noch größer. Instinktiv ließ sich Stolperzunge zu Boden fallen. Dann pfiff es über ihm, als eine schwarze Linie wie ein Speer aus dem Mund des Wesens schoss und die Luft aufspießte. Die Zunge zog sich genauso schnell zurück, wie sie aufgetaucht war. Stolperzunge blieb mehrere hundert Herzschläge lang vor Schock erstarrt am Boden liegen, bis sich die Bestie wieder ins Gebäude zurückzog.
Er schnappte sich die zwei Streifen Bluthaut-Fleisch und taumelte zum Tor von Zartling-Wege, als sich das Große Dach allmählich erhellte.
Er lief über das Moos zu den Bäumen und von dort zum Baumstamm über dem Feuchtpfad. Er hörte menschliche Stimmen, die ihm entgegenkamen, und versteckte sich. Es überraschte ihn, dass seine Leute so lange gebraucht hatten, einen Trupp zusammenzustellen, der die neuen Bestien jagen sollte. Aber vielleicht war es auch schon der zweite oder dritte. Er hoffte, dass es nicht so war. Der Stamm durfte sich keine allzu großen Verluste mehr erlauben.
Sie liefen in einer Reihe an ihm vorbei, sechs Jäger, von Jugendlichen bis zu Veteranen. Alle trugen Tätowierungen, die von den jüngsten Kämpfen erzählten. Stolperzunge fühlte sich elend. Seine Muskeln spannten sich an – nicht, um zu flüchten, sondern um zu jenen zu laufen, die seine Kameraden hätten sein sollen. Nur mit größter Mühe gelang es ihm, sich zu beherrschen.
Die meisten Männer trugen einen Werkzeuggürtel und einen Lendenschurz aus weicher grauer Zartlinghaut, einem wunderbaren Material, das kühl auf der Haut lag und dessen Quelle nun für immer aus der Welt verschwunden war. Die Jäger plauderten unbeschwert und furchtlos über das noch unschuldige
Weitere Kostenlose Bücher