Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
imposanter wirkte es, wenn nicht gar bedrohlich.
Wellington fixierte sie mit starrem Blick. »Ich kann nicht fassen, dass ich im Begriff stehe, so etwas zu tun«, blaffte er. »Wo haben Sie mich da bloß mit hineingezogen, Frau?«
Eliza neigte den Kopf zur Seite. Wo ich Sie mit hineingezogen habe? Einmal mehr betrachtete sie das Herrenhaus und unterdrückte ihren instinktiven Drang, dem Kutscher zu befehlen, er solle sofort wenden und nach London zurückfahren. Immerhin tat sie das alles für Harry. Doch wenn ihr am Wochenende irgendein Fehler unterlaufen sollte, konnten Books und sie ebenfalls im Bedlam enden, oder in der Themse.
Statt den Archivar auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen, strich sie ihren Rock glatt. Für diesen Anlass waren sie wesentlich dezenter gekleidet als in der Oper, ihre Kleidung entsprach aber dennoch den Modevorstellungen der Oberschicht. Wie Havelock und seine Gäste es erwarteten. Unter der grauen Tweedjacke und dem entsprechenden Rock trug sie ein Korsett, das fest geschnürt war, vermutlich fester als es tagsüber vonnöten gewesen wäre. Dazu passend hatte Eliza sich für eine eher diskrete Zurschaustellung von Wohlstand entschieden: ein einzelner Rubin ruhte auf ihrem Dekolleté, um die Blicke der Männer anzuziehen und sie auf ihre Kurven aufmerksam zu machen.
Die Kutsche rollte am Fuß der prunkvollen Freitreppe vor, wo sogleich einige Lakaien herbeieilten, um ihnen diensteifrig die Tür zu öffnen. Eliza nahm eine der ihr dargebotenen Hände und stieg auf den weißen Kies hinab.
»Und unterlassen Sie bitte die Gafferei«, platzte Wellington heraus.
Eine Welle der Empörung stieg in ihr auf. Was zum Teufel redet er da? Sie hatte überhaupt nicht gegafft – von Indien bis Frankreich war sie schon in vielen solcher Paläste gewesen und hatte noch in keinem »gegafft«. Sie verschaffte sich schlicht und ergreifend einen Eindruck von der Umgebung. Die Fenster machten sie allerdings nervös – zu viele günstige Stellungen für Heckenschützen. Aber wenn sie klug vorgingen, brauchten sie sich darüber keine Sorgen zu machen.
Im Augenblick war der einzige Unsicherheitsfaktor Wellington Books. Unerfahren. Durch und durch lehrbuchfixiert. Letztendlich noch nicht bereit für verdeckte Ermittlungen. Sie hätte sich umgedreht, um ihm genau das zu sagen, wäre auf der Treppe nicht dieser Gentleman erschienen. Wie es sich für eine züchtige und gehorsame britische Ehefrau gehörte, hakte Eliza sich bei Wellington ein, sah zu ihm auf und ließ sein Gesicht nicht mehr aus den Augen. Eliza hoffte, dass sie dadurch den Eindruck einer liebenden Gattin vermittelte, vielleicht einer frisch vermählten.
»Sie müssen die St. Johns sein.« Diese Stimme erkannte sie sofort: Bartholomew Devane, auf den sie nur einen flüchtigen Blick hatte werfen können, dessen abscheuliches Benehmen sich in ihrem Gedächtnis jedoch wie ein Ölfleck festgesetzt hatte.
Der Mann musterte Eliza mit seinen dunklen Augen von Kopf bis Fuß und schätzte ihren Wert ab, bevor er sich ihrem »Ehemann« zuwandte. Wellington schüttelte ihm die Hand. »Ja, richtig, und Sie sind …?«
»Lord Bartholomew Devane.« Eliza u mfasste Wellingtons Arm etwas fester, worauf er jedoch nicht reagierte. Stattdessen überreichte er Devane das Empfehlungsschreiben, welches die Kinder aus der Wohnung der echten St. Johns gestohlen hatten. Die wunderschöne Pergamentrolle wurde von einem Wachssiegel zusammengehalten, das einen aufsteigenden Phönix zeigte. Christopher hatte sich selbst übertroffen, als ihm ein derart winziges Detail aufgefallen war.
Eliza war so in Eile gewesen, dass sie gar nicht erst versucht hatte, den Brief zu lesen. Aus dem belauschten Gespräch im Opernhaus wussten sie zumindest, dass Havelock und seine Spießgesellen die St. Johns nie persönlich kennengelernt hatten – wenngleich natürlich trotzdem die Gefahr bestand, durch irgendwelche Informationen aus dem Brief enttarnt zu werden. Eliza stockte deswegen zwar nicht der Atem, aber dafür spürte sie plötzlich ihre Pounamu - Revolver im Kreuz, die sie auch für diesen Anlass wieder dort versteckt hatte.
Als Devane das Schriftstück in der Faust zerknüllte und sich in die Tasche stopfte, glaubte Eliza allmählich, dass sie dieses Gaukelspiel tatsächlich über die Bühne bringen würden.
Der Lord zog an seiner Zigarette, die er lässig zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, und inhalierte tief. »Freut mich ungemein, dass Sie ein redlicher
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