Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
aufhorchen.«
»Tue ich das?«
»In der Tat«, versicherte er Wellington. »Abgesehen von Ihrer entzückenden Frau beweisen Sie Charakter. Sie sind wie geschaffen für unseren Geheimbund.«
»Nun denn«, erwiderte Wellington und stieß kaum merklich den Atem aus. »Das bedeutet dann wohl, mein Hirn verbleibt in meinem Kopf?«
Devane lachte leise. »Wir haben gewisse Standards und Traditionen, alter Knabe. Das müssen Sie verstehen.«
»Das tue ich – wenngleich ich Ihre Initiationsriten ein wenig … unumstößlich finde.«
Devane nickte. »Das müssen sie auch sein. Wenn Sie hören, was Havelock heute Abend zu sagen hat, werden Sie es vollends verstehen.«
»Ich freue mich darauf«, antwortete Wellington so gelassen wie möglich und warf einen kurzen Blick zur Stirnseite des Tisches.
Diesmal hatte Dr. Havelock bereits an der Tafel auf sie gewartet, seine Miene war wohlmeinend und freundlich und zeigte keine Spur von Reue nach dem grausamen Urteil, das am Nachmittag über die Journalisten gefällt worden war. Gemeinsam mit seinen Gästen genoss er den ersten Gang, trotz der Anspannung, die in der Luft lag. Wellington sah sich im Speisesaal um, und in dem Moment hatte er das Gefühl, als wäre der Raum größer geworden. Lag es an dem fehlenden Paar? Nein. Die Butlerspiegel an den Wänden reflektierten das Licht der Gaslampen. Und das Gaslicht erreichte die gewölbten Spiegel nur deshalb, weil keine Diener davorstanden. Hinter Havelocks Thron, wo für gewöhnlich Dienstboten auf ihren Einsatz warteten, standen nun zwei Messingobelisken, die bis an die Hüfte des einzig anwesenden Dieners heranreichten. Die Vorspeise war serviert und die erste Runde Wein eingeschenkt worden; doch nun hielt sich im Saal lediglich der imposante Butler auf, der stets in Havelocks Nähe zu finden war. Reglos wie die beiden Obelisken stand er da.
»Guten Abend, Brüder und Initianden«, ergriff Havelock das Wort und brachte damit alle zum Schweigen. »Ich weiß, dass alle, die mich gut kennen, meine Anwesenheit hier und meinen jetzigen Auftritt ungewöhnlich finden werden – aber, meine Brüder, ich bin ja auch nicht gerade als konventionell bekannt.«
Das Gelächter war höflich, vielleicht mit einem Anflug von Besorgnis.
»Ich bin hier aus einem ganz einfachen Grund: um in den Genuss zu kommen, Ihre Reaktionen zu sehen.« Havelock wandte sich an seinen Butler. »Pearson, Sie können beginnen.«
Der einsame Diener drehte sich zu einem der Obelisken um und griff an dessen Rückseite, um einen Hebel hochzuziehen; Pearsons Bemühungen sorgten bei einigen Damen für milde Belustigung. Sobald der Hebel in die aufrechte Position gebracht worden war, schossen laut zischend Dampfstrahlen aus diversen Schlitzen an den Seiten und entlockten den Damen einige Überraschungslaute. Doch die Ausrufe des Entsetzens kamen erst, als Metallplatten zurückglitten und sich skelettartige Arme und Beine aus dem Messingkorpus streckten, die aus Federn, Kolben und Streben zusammengebaut waren. Als sich der obere Teil des Obelisken drehte und in ein kantiges Gesicht verwandelte, akzentuiert durch Augenhöhlen und ein mundförmiges Gitter, das ein diffuses, smaragdgrünes Licht verströmte, hatte Pearson bereits den Hebel des zweiten Obelisken hochgezogen.
Havelock registrierte die schockierten Reaktionen seiner Gäste mit dem ganzen Entzücken eines Kindes an Weihnachten.
Wellington mühte sich, ihre Zielperson im Auge zu behalten, fand jedoch diese neuen Erfindungen viel zu faszinierend. Er spürte, wie die kühle Fassade bröckelte, die er sich so mühsam aufgebaut hatte; aber je mehr die Automaten Gestalt annahmen, desto weniger scherte es ihn.
Als die sich zu guter Letzt auch noch selbsttätig bewegten, richtete Wellington sich leicht auf, und ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Diese Schöpfungen waren einfach überwältigend! Er glaubte, ein Keuchen von Eliza zu hören, doch schon im nächsten Moment begriff er, dass es von ihm selbst gekommen war.
Dann fing er zufällig Havelocks Blick auf. Der Mann starrte ihn an, und sein Lächeln wurde breiter. Er nickte Wellington kameradschaftlich zu. Sie verstehen, übermittelte diese schlichte Geste. Havelock ließ Wellington nicht aus den Augen, bis die zweieinhalb Meter großen Automaten ihn flankierten.
»Ich präsentiere Ihnen die Dienstboten des heutigen Abends, meine Freunde. Ich präsentiere Ihnen die Zukunft«, verkündete Havelock und klang dabei wie ein stolzer Vater nach der Geburt
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