Boomerang
Profitziele, die sie einhalten wollten. Um dieselben Gewinne mit niedrigerem Risiko zu machen, hätten sie einfach mehr kaufen müssen«, meint er. Doch das Management schlug seine Warnungen in den Wind. »Ich habe ihnen gezeigt, dass der Markt kippt. Jetzt wollte ich dem Baby den Lutscher wieder wegnehmen, und damit war ich plötzlich der Feind.« Mit Röthig gingen auch einige Kollegen, die Zahl der Mitarbeiter wurde verringert, doch die Investitionstätigkeit lief unvermindert weiter. »Die Hälfte der Leute mit einem Drittel der Erfahrung hat doppelt so viele Investitionen gemacht«, sagte er. »Sie hatten Anweisung, zu kaufen.«
Er beschreibt mir eine scheinbar ausgeklügelte und komplizierte Anlagestrategie, die in Wirklichkeit nichts anderes war als ein mechanisches Bewertungssystem. Die IKB konnte »ein strukturiertes Finanzprodukt bis zum letzten Basispunkt durchpreisen«, erklärte ein Bewunderer noch 2004 gegenüber dem Journalisten von
Risk
. Aber im Grunde war diese Form |182| der Berechnung vollkommen irrsinnig. »Sie waren absolute Haarspalter, wenn es um die Frage ging, von welcher Ausgabefirma die Ramschhypotheken stammen durften, die in die Wertpapiere eingingen«, sagt Nicholas Dunbar. »Aber welche Rolle spielte das schon? Am Ende fielen die Wertpapiere von 100 auf 2 oder 3. In gewisser Hinsicht hatten sie vielleicht Recht: Ihre Papiere fielen auf 3, nicht auf 2.« Solange die strukturierten Finanzprodukte den Regeln der IKB-Experten entsprachen, wurden sie ohne weitere Überprüfung in das Rhineland-Portfolio übernommen. Aber diese Wertpapiere wurden immer riskanter, da die Kredite, mit denen sie abgesichert waren, immer unsicherer wurden.
Nach Röthigs Abschied stieg der Wert des IKB-Portfolios von 7 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 14 Milliarden im Jahr 2007. »Sie wären sogar noch weiter gestiegen, wenn sie noch Zeit gehabt hätten, mehr zu kaufen«, erzählt er. »Sie waren auf dem besten Weg, die 20 Milliarden zu knacken.« Mitte 2007 erkannten sämtliche Investmentbanken der Wall Street, dass der Markt für Ramschhypotheken vor dem Zusammenbruch stand, und versuchten verzweifelt, ihre Papiere loszuwerden. Die Deutschen verschlossen die Augen vor der drohenden Katastrophe und kauften bis zum letzten Tag, wie mir verschiedene Beobachter an der Wall Street versicherten. Wenn die IKB lediglich 10 Milliarden Euro mit den amerikanischen Ramschhypotheken verlor, dann nur, weil der Markt zusammenbrach. Nichts – keine neuen Tatsachen und keine neuen Erkenntnisse – hatte einen Einfluss auf ihre Anlagestrategie.
Oberflächlich betrachtet hatten die Händler der IKB gewisse Ähnlichkeit mit ihren skrupellosen Kollegen von Citigroup und Morgan Stanley. Aber in Wirklichkeit spielten sie ein ganz anderes Spiel. Auch die amerikanischen Investmentbanker |183| rissen ihre Banken in den Abgrund, indem sie die Augen vor den Gefahren verschlossen – aber sie machten selbst ein Vermögen und wurden in den seltensten Fällen dafür zur Rechenschaft gezogen. Sie wurden dafür bezahlt, ihre Banken zu verzocken, und es ist schwer zu sagen, inwieweit sie mit Absicht so handelten. Die deutschen Händler hatten dagegen ihr Jahresgehalt von gut 70 000 Euro plus höchstens 35 000 Euro Bonus. Die deutschen Banker bekamen »Peanuts« dafür, dass sie die Risiken auf sich nahmen, mit denen sie schließlich ihre Banken versenkten – was darauf schließen lässt, dass sie keine Ahnung hatten, worauf sie sich da einließen. Trotzdem – und das ist das Seltsame – werden sie von der deutschen Öffentlichkeit wie Verbrecher behandelt. Stefan Ortseifen, der frühere Vorstandsvorsitzende von IKB, erhielt eine Bewährungsstrafe von 10 Monaten und musste sein Gehalt zurückzahlen: ganze 805 000 Euro.
Als die Deutschen in die Vereinigten Staaten kamen, erlebten sie einen gewaltigen Kulturschock. »Die kulturellen Missverständnisse waren gewaltig«, meint Röthig, während er sich an seinem Hummer zu schaffen macht. »Die deutschen Banker waren noch nie von einem Verkäufer der Wall Street verwöhnt worden. Und plötzlich zückt jemand seine Kreditkarte und lädt sie zum Großen Preis von Monaco oder was weiß ich wohin ein. Es gibt keine Grenzen. Die Landesbanken sind die langweiligsten Banken in Deutschland, niemand hatte sich je für diese Banker interessiert. Und plötzlich kommt dieser smarte Typ von Merrill Lynch daher und verhätschelt sie hinten und vorne. Die haben natürlich gedacht: ›Oh, der mag
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