Boomerang
mich.‹« Er macht eine Pause. »Die amerikanischen Verkäufer sind einfach cleverer als die europäischen. Sie sind bessere Schauspieler.«
|184| Im Grunde, so Röthig, rechneten die Deutschen einfach nicht damit, dass sich die Amerikaner nicht an die Spielregeln halten könnten. Die Deutschen nahmen die Regeln ernst: Sie sahen die AAA-Bewertung der Wertpapiere und glaubten die offizielle Version, nach der Anlagen mit dieser Bewertung keinerlei Risiko darstellen.
Diese außerordentliche Regelgläubigkeit zeichnet das Bankwesen in Deutschland genauso aus wie das Privatleben. Das zeigt sich auch in dem jüngsten Skandal um die Munich-Re-Tochter Ergo. Die veranstaltete im Juni 2007, kurz vor dem Crash, eine Ausflugsfahrt für ihre besten Vertriebsmitarbeiter, auf der es nicht nur Mett-Igel und Minigolf gab, sondern auch eine Party mit Prostituierten. In der Finanzwelt sind Partys wie diese nicht ungewöhnlich – das eigentlich Sonderbare war, wie gut die deutsche Party organisiert war. Das Unternehmen kennzeichnete die Prostituierten mit weißen, gelben und roten Armbändchen, je nachdem, für welche Führungsebene sie bestimmt waren. Nach jedem Ausflug in ein Separee bekamen die Frauen einen Stempel verpasst, um später sehen zu können, welche wie oft »benutzt« worden war. Die Deutschen wollten nicht einfach irgendwelche Nutten, sie wollten Nutten, die sich an Regeln hielten.
Die Deutschen waren so verliebt in ihre Regeln, dass sie einem Missverständnis aufsaßen, das mit diesen Regeln einhergeht: Sie glaubten, dass es so etwas wie eine risikolose Geldanlage gibt. Eine Anlage wirft deshalb einen Gewinn ab, weil sie ein gewisses Risiko birgt. Doch als im Jahr 2006 der Mythos der risikofreien Anlage die Finanzwelt erfasste, fielen vor allem die Deutschen auf ihn herein. Das hatte ich auch von Händlern an der Wall Street gehört, die mit deutschen Käufern verhandelten: »Man muss die deutsche Mentalität |185| verstehen. Sie denken, sie haben alle Fragen abgehakt und deswegen gibt es kein Risiko. Wer mit Deutschen arbeitet, der weiß, dass sie keine Risiken eingehen.« Solange ein Wertpapier äußerlich sauber wirkte, konnten die Investmentbanker der Wall Street jeden Dreck hineinpacken.
Röthig meint heute, es sei im Grunde egal, was in den Wertpapieren steckte. Die IKB musste am 30. Juli 2007 von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gerettet werden. Bei einem Kapital von etwa 3 Milliarden Euro hatte die Bank mehr als 10 Milliarden verloren. Als die IKB zahlungsunfähig wurde, wollten die deutschen Medien wissen, wie viele Ramschhypotheken sie in ihrem Portfolio hatte. Der Vorstandsvorsitzende Stefan Ortseifen erklärte, die IKB habe so gut wie gar keine mit Ramschhypotheken besicherten Wertpapiere und wurde deshalb kürzlich wegen Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz verurteilt. »Aber er hat die Wahrheit gesagt«, meint Röthig. »Er hat wirklich gedacht, dass er keine Ramschhypotheken im Portfolio hat. Er konnte keine korrekten Zahlen nennen, weil er sie selbst nicht hatte. Das Überwachungssystem der IKB unterschied nicht zwischen Ramsch und normalen Hypotheken. Genau deswegen kam es ja dazu.«
Er, Röthig, habe schon 2005 darauf gedrängt, die Herkunft der Hypotheken zu überprüfen, mit denen die undurchschaubaren Wertpapiere der Wall Street besichert wurden, aber das Management der IKB weigerte sich, das Geld dafür herauszurücken. »Ich habe damals gesagt: ›Sie haben ein Portfolio von 20 Milliarden, Sie machen im Jahr 200 Millionen Gewinn, und Sie weigern sich, mir 6,5 Millionen zu geben.‹ Aber sie hatten einfach kein Interesse daran.«
***
|186| Zum dritten Mal innerhalb von drei Tagen fahren wir über die frühere Zonengrenze, ohne es zu bemerken, und versuchen zwanzig Minuten lang, herauszufinden, ob wir nun im früheren Ost- oder Westdeutschland sind. Charlotte stammt aus Leipzig, aber sie weiß es genauso wenig. »Wenn da kein Schild steht, bemerkt man es gar nicht mehr«, meint sie. In der Landschaft, die einst von Zaun und Todesstreifen zerschnitten war, ist nicht einmal mehr eine Narbe zu erkennen. Irgendwo in der Nähe der Grenze machen wir an einer Tankstelle halt. In einer schmalen Einfahrt stehen drei Zapfsäulen hintereinander, und wer an der letzten steht, hat keine Möglichkeit, an den Autos vor sich vorbeizufahren. Die drei Fahrer müssen gleichzeitig tanken, gleichzeitig zahlen und gleichzeitig weiterfahren, denn wenn nur einer trödelt, müssen alle anderen warten. Aber
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