Borderlands
sie angefasst oder so?«
»Ich glaube
nicht. Ich glaube, er hat sie nur gerne beobachtet.«
»Warum haben
Sie uns das nicht gesagt, als sie gestorben ist? Warum haben Sie das für sich
behalten? Es könnte uns helfen.«
»Ich schätze,
ich wollte da nicht reingezogen werden. Außerdem, Johnny Cashell ist vielleicht
ein geiler alter Bock, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Mörder
sein soll. Bei Liam McKelvey ist das was anderes.«
»Hat sie Ihnen
gesagt, von wem sie den Ring hatte?«
»Was für einen
Ring?«
»Den Ring, den
sie trug. Den Goldring mit den Edelsteinen; ihre Initialen sind darauf.«
Yvonne blickte
verwirrt drein. »Angela hatte keinen Goldring. Sie hat nur Silber getragen.
Kann ich noch eine Zigarette haben?«
Sie beugte
sich erneut vor und nahm die Zigarette. Ich hielt ihr mein Feuerzeug hin, und
sie hielt mit beiden Händen meine Hand, obwohl sie gar nicht zitterte. Ihre
Handflächen waren rau von der Arbeit, aber warm. Bei der Berührung ihrer Haut
zogen sich meine Eingeweide zusammen, als hätte mir jemand einen Schlag in die
Magengrube versetzt. Sie hielt meine Hand ein wenig länger als nötig, dann ließ
sie langsam los und glitt dabei mit den Fingerspitzen über meinen Handrücken.
Ganz kurz blieb sie an meinem Ehering hängen.
* * *
Johnny Cashell saß im Verhörraum eins der
Polizeiwache von Strabane. Er sah aus wie alle anderen Verhörräume, die ich je
gesehen hatte: an einer Wand ein einzelner Tisch aus Holz, die Tischplatte mit
Initialen, Brandmalen von Zigaretten und hellen Ringen übersät, wo heiße
Teebecher das Holz weiß verfärbt hatten. Die Wände waren in einem Einheitsgrün
gestrichen und mit Bildchen und Obszönitäten bekritzelt, und neben dem Schreibtisch
waren dunkle Flecken, wo jemand mit einem Feuerzeug gespielt hatte. Der Raum
roch nach Schweiß und Rauch; beides verströmte Johnny überreichlich. Er
rutschte unbehaglich auf einem Holzstuhl hin und her, nicht ahnend, dass solche
Räume so gestaltet wurden, dass sie das größtmögliche Unbehagen erzeugten. Es
hieß sogar, bei der früheren Royal Ulster Constabulary, dem Vorgänger des PSNI , habe man die Vorderbeine der Stühle um zwei
Zentimeter abgesägt, damit derjenige, der darauf saß, immer wieder nach vorne
rutschte und nicht entspannt sitzen konnte.
Cashell tastete unter dem T-Shirt seinen
Bauch und die Ausbeulung darum herum ab, an der man sah, dass die Messerwunde
immer noch verbunden war. Er wirkte ungewaschen – die schmutzig
grauen Bartstoppeln stachen von seinen roten Haaren ab. Sein T-Shirt schien ihn
zu stören, denn er zupfte unentwegt daran herum.
Ich hatte
Hendry eine Liste der Fragen gegeben, die er stellen sollte, und ihn auf den
neuesten Stand gebracht, während wir darauf gewartet hatten, dass man Cashell
ins Vernehmungszimmer brachte. Folglich war ich es zufrieden, einfach nur
dabeizusitzen und zuzuhören. Wir hatten beschlossen, formlos vorzugehen.
»Also, Johnny,
Sie haben Inspector Devlin erzählt, Sie hätten Ihre Tochter letzten Donnerstag,
den neunzehnten Dezember, zum letzten Mal gesehen. Stimmt das?«, fragte Hendry.
»Was? Doch.
Das stimmt. Donnerstag.«
»Gab es einen
Grund, weshalb sie an dem Abend nicht nach Hause gekommen ist?«
»Hat bei
Freunden übernachtet wahrscheinlich.«
»Gab es dafür
irgendeinen Grund?«
»Herr im
Himmel, braucht man nen Grund, um bei Freunden zu übernachten? Vielleicht war
sie bei ihrem Freund und wollte nich, dass wir davon wissen. Was soll der
Scheiß?«
»Hatten Sie am
Donnerstag Streit mit Angela, Mr Cashell?«
Johnny sah
hoch und beäugte Hendry misstrauisch. Die Verwendung seines Nachnamens
schreckte ihn auf, und er nahm eine Veränderung im Ton wahr – eine Wendung im
Gespräch. »Kann sein; weiß nich mehr.«
»Hatten Sie?
Ja oder nein?«
»Na, wenn Sie
schon so fragen, wissen Sie’s doch. Jetzt kommen Sie mal auf’n Punkt.«
»Worüber haben
Sie sich gestritten?«
»Familienangelegenheit.«
Hendry lachte.
»O ja, so kann man es auch nennen.« Dann murmelte er so leise, dass ich nicht
sicher war, ob er es tatsächlich gesagt hatte: »Du drehst doch selbst, Johnny.
Stehst du auch sonst auf Marke Eigenbau?«
»Was?«
»Hat Ihre
Tochter Ihnen vorgeworfen, dass Sie sie beim Anziehen beobachtet haben?«
Cashell sprang
auf und explodierte. »Sie beschissener …! Devlin? Was geht hier ab, verdammt noch
mal?«
Ein Constable,
der hinter Cashell an der Tür gestanden hatte – ein weiterer Aspekt, der
Unbehagen
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