Borderline ein Narco-Thriller
Erklärung. Dass der Onkel allerdings derart tief darin verwickelt war, wie Diego später in den Straßen Medellíns erfuhr, hatte er nicht geahnt.
Nachdem die Tante ihn bei einem ihrer Verwandten in dem am Berg klebenden El-Salado-Slum abgesetzt hatte, verschwand sie mit ihrer Tochter. Diego würde sie und auch den Onkel nie wiedersehen. So musste er sich fortan selbst durchschlagen, da der
Verwandte
ihm schon bald verdeutlichte, ihn nicht länger als einen Monat bei sich in der Wohnung aufzunehmen. Nach vier Wochen landete Diego da, wo sich Unzählige der Armen Medellíns sammelten - auf den Straßen des Slums.
Doch der Junge lernte schnell, sich anzupassen. Keinem Faustkampf aus dem Wege gehend, gewann er an Reputation. Groß gewachsen und blond, wie er war, bekam er auch hier schnell den Beinamen Barbie verpasst. Aber nur hinter seinem Rücken, denn ihn ins Gesicht so zu nennen, wagte sich keiner.
Diegos größter Vorteil gegenüber anderen Straßenkindern war, dass ihn all das Schnüffeln, Rauchen und Spritzen anwiderte; der Handel mit Drogen ihn dennoch brennend interessierte. Torkelten Neunjährige oft schon morgens betäubt vom Klebstoff durch die Gassen oder nahmen Teenager gegen Mittag ihre erste Linie Kokain - Diego war gern bereit, sie mit dem ersehnten Stoff zu versorgen, ohne jemals selbst in Versuchung zu kommen.
Die Mischung aus Nüchternheit und Geschäftssinn, mit der er seinen kleinen Handel vorantrieb, weckte bald schon das Interesse der mächtigsten Gang im Viertel. Als er ihnen in einem nahegelegenen Waldstück dazu seinen geübten Umgang mit der Pistole präsentierte, war seine Aufnahme nur noch Formsache. Skrupellos und gerissen machte er sich in der Folgezeit rasch nützlich und stieg in der Hierarchie zügig zu einem Capo auf. Die Hände machten sich jetzt meist seine Untergebenen schmutzig.
Mit der gesteigerten Anerkennung einher gingen ein Umzug in eine große Wohnung, Geld und Frauen − viele Frauen. Neben einem schönen ebenmäßigen Gesicht, gerahmt von vollem blonden Haar, und seinem draufgängerisch-charmanten Auftritt strahlte Diegos Ruf eine markante Aura aus, die die Mädchen magisch anzog. Länger als ein paar Tage ließ er jedoch keine in sein Bett, und auch der Wunsch nach einer Familie ging ihm gänzlich ab. Schließlich hatte er bereits zwei davon verloren.
Mit Mitte zwanzig stieg Diego weiter auf, zum Anführer einer Gruppe von Sicarios, die den Bedarf an Auftragsmördern großzügig deckten. An Interessenten herrschte kein Mangel, und Nachwuchs fand sich an sprichwörtlich jeder Ecke. Junge Männer, die sich für einige Dollar oder Gramm auf ein Motorrad setzten, um ihre Opfer im Vorbeifahren zu erschießen.
Doch Rivalitäten untereinander oder Gefechte mit der Polizei ließen diese jungen Burschen sterben wie die Fliegen. Und obwohl es einen nicht enden wollenden Strom an Nachfolgern gab, war es mühsam, sie zu ersetzen, neu auszubilden und in die Schlacht zu schicken - nur damit sie wieder im Nullkommanichts das Zeitliche segnen konnten. Das war ineffizient, und das störte Diego, denn diese Fußsoldaten waren sein Kapital. Also begann er, sie auf einer Farm nördlich der Stadt militärisch ausbilden zu lassen. Für ihre Einsätze verschaffte er ihnen schnelle Maschinen und moderne Waffen. Seine Erfolgskurve zeigte ab diesem Zeitpunkt steil nach oben und erlaubte ihm, höhere Preise bei seinen Auftraggebern zu verlangen. Das Renommee seiner Killertruppe war derartig gut, dass er oft nicht mit der Nachfrage Schritt halten konnte. Also begann er, noch mehr Jugendliche aus den Slums zu rekrutieren und auf der inzwischen vergrößerten Farm auszubilden.
In dieser Zeit trat er erstmals in Kontakt zu den Großgrundbesitzern aus dem Süden des Landes. Diese befanden sich in einem aufreibenden Stellungskrieg mit Rebellengruppen und suchten händeringend nach Kämpfern für ihre eigenen Milizen. Ein optimaler Zeitpunkt, denn unter dem Einfluss der USA war der Druck deutlich verschärft worden. Das Militär griff nun auch in Medellín hart gegen die Drogenhändler und ihre Killer durch. Für Diego der passende Moment, die Branche zu wechseln. Mitsamt dreißig seiner Männer machte er sich Mitte 2003 in einem Privatflugzeug auf den Weg zu einer Ranch südlich von Pasto, nahe zur Grenze Ecuadors. Innerhalb von zwei Jahren stellte er dort eine straff organisierte und bestens ausgerüstete Armee von zweihundert Mann zusammen. Mit der bekämpfte er jeden, der sich den
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