Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
Vom Netzwerk:
Hand lag ein Hunderter. »Goil«, entfuhr es mir. »Was mach’n wir midde Kohle, Aller?«
    Catcher Mike wusste, was zu tun war. »Wir geh’n bumsen, Michel!«
    Meine Augen begannen zu leuchten. »Bumsen?«
    »Yo, Michel! Wir bumsen mal ’ne Große!«
    Sofort dachte ich an die großen Mädels, die mir all die Jahre ’ne Perri ausgegeben und mich an ihre schönen, gut riechenden Dekolletés gedrückt haben, als ich noch Oma Lilos kleiner Butsche war. Ich erinnerte mich an die langen, wohlgeformten Beine, an denen ich mich festgehalten hatte, wenn ich müde war von meinen Spaziergängen durch das Betten Voss oder den Budapester Hof. Der Geruch von Parfum und der süßen Rosawelt stieg mir in den Kopf.
    »Goil«, rief ich. »Wir geh’n bumsen!«
    Wir taperten die Hein-Hoyer-Straße entlang und liefen zur Großen Freiheit, da waren wir auch schon auf der Reeperbahn! Es stank nach Pisse, Erbrochenem und altem Frittenfett. Der Gestank der Straße vermischte sich mit dem süßen Duft der Frauen. Der Geruch von Abenteuer! Noch war nicht viel los auf der Reeperbahn. Doch ich war hier, bei den funkelnden Lichtern und dem wilden Geglitzer, das ich so sehr liebte. Nur darauf kam es an.
    Plötzlich standen wir vor dem Eros-Center, dem lange Zeit größten Freudenhaus der Welt. Eine Stein gewordene Legende. Willy Bartels – den König von St. Pauli nannte man ihn – hatte es 1967 gebaut, unterstützt vom Senat der Stadt! Unter anderem, weil man sich erhoffte, dass die Nutten nun weniger auf der Straße stehen und die Passanten belästigen würden. Ich blickte in die Garageneinfahrt und rechts in den schmalen Abstieg für Fußgänger. Catcher Mike und ich schauten uns an. Wir wollten bumsen, nur deswegen waren wir hier! Fest entschlossen gingen wir den Abstieg hinunter. Wir blickten in einen sehr dunklen Raum. Aber ich konnte sie sehen, die großen Mädels mit den langen Beinen.
    »Goil«, raunte Catcher Mike.
    Wie zwei Hein Doofs standen wir da und wussten nicht weiter. Neonlicht drang aus den Ecken des Raums. Ich konnte kaum die Gesichter der Frauen erkennen. Mein Herz schlug wie wild. Doch ich gab mir Mühe und blickte ernst wie ein erfahrener Freier in die Runde. Bloß nicht lachen, dachte ich, ernst gucken! Während ich noch versuchte, cool und erwachsen auszusehen, hatte sich Mike bereits auf die Socken gemacht. Er stolzierte umher und betrachtete die Frauen, als würde er jeden Tag hierherkommen, während ich Angst hatte, dass man uns entdecken würde. Wir waren doch erst zwölf! Kinder! Man würde uns rausschmeißen! Noch schlimmer! Die Polizei würde uns einfangen, und dann müssten mich meine Eltern auf der Wache holen. Die Beamten würden sagen: »Hier, Ihr Junge war im Puff und wollte bumsen! Woher hat ’n der die Kohle?« Ich wollte mir all das gar nicht erst ausmalen. Auf die großen Mädels wollte ich mich konzentrieren, die langen Beine!
    Mike war wieder zurück von seiner Runde, als eine der Frauen auf uns zu kam. Mit ihren schwarzen Strapsen und den hochhackigen Schuhen stand sie wie eine Amazone vor uns. Sie war definitiv älter als meine Mutter. »Na, ihr!«, raunte sie mit dunkler Stimme. »Wollt ihr mal mitkommen?« Voller Ehrfurcht sah ich sie an. Die Aufregung pochte an die Innenseite meines Schädels. Sie war sehr groß. Sie war sehr stark geschminkt. Sie hatte eine sehr blonde Dauerwelle! Sie lächelte uns an. Es war ein routiniertes Lächeln. Aber das störte mich nicht. Ihre Lachfältchen gefielen mir. Ihre Augen strahlten, wie ich fand, eine gewisse Weisheit aus.
    Mike war sofort dabei und übernahm die Verhandlung. »Wir woll’n aba beide zusammen und aufs gleiche Zimmä. Hundert Märk, aba bumsen!«
    »Na, dann kommt mal mit, nech!«
    Als die Schuljungen, die wir waren, taperten wir hinter der blonden Nutte her. Einige der anderen musterten uns abfällig, alle machten einen gelangweilten Eindruck. Die Leidenschaft war hier nicht zu Hause. Für viele Freier war das Laufhaus ein Ort der unerfüllten Sehnsüchte. Für die Frauen war es der Ort, an dem ihre Träume von einem besseren Leben und dem großen Geld ein Ende gefunden hatten. Geblieben waren ihnen das Warten auf den nächsten Freier und ein letzter Rest Hoffnung auf ein besseres Leben.
    Unsere Blicke hingen starr und etwas ungläubig auf Hintern und Beinen der Amazone vor uns. Durch eine Eisentür betraten wir ein trostloses, kühles Treppenhaus, nackter Stein und ein Stahlgeländer, das nur noch an wenigen Stellen die Farbe hatte

Weitere Kostenlose Bücher