Boris Pasternak
des Kachelofens wie in alten Zeiten rechtfertigte. Überdies konnte
man dann auf das Eisenöfchen verzichten, diesen Quälgeist, der qualmte,
schlecht wärmte und die Wärme überhaupt nicht hielt.
Das Brot geriet Tonja gut,
doch aus dem Verkauf wurde nichts. Sie mußten diese Pläne aufgeben und wieder
das Ofchen heizen. Die Shiwagos litten Not.
Eines Morgens begab sich der
Arzt wie gewöhnlich zum Dienst. Im Hause waren nur noch zwei Scheite Holz.
Im Pelzmantel, in dem sie vor
Schwäche sogar bei warmem Wetter fror, ging seine Frau »auf Beute«.
Eine halbe Stunde lang
durchstreifte sie die umliegenden Gassen, wo manchmal Bauern aus den
umliegenden Dörfern Gemüse und Kartoffeln anboten. Solch einen mußte sie
erwischen. Bauern, die Fracht bei sich hatten, wurden häufig festgehalten.
Bald stieß sie auf das Ziel
ihres Suchens. Ein stämmiger junger Mann im Bauernrock folgte ihr mit einem
spielzeugleichten Schlitten um die Ecke in den Hof der Gromekos.
In dem Bastkasten des
Schlittens lag unter einer Matte ein kleiner Haufen Birkenknüppel, nicht dicker
als die altmodischen Gutshausgeländer auf Fotografien des vorigen Jahrhunderts.
Tonja wußte, was sie wert waren, es war nur dem Namen nach Birkenholz, feuchtes
Zeug von der schlechtesten Sorte, frisch gesägt, zum Heizen ungeeignet. Aber
sie hatte keine Wahl, und Verhandlungen wären zwecklos gewesen.
Der Bauer trug ihr das Holz in
fünf oder sechs Gängen hinauf in die Wohnung und schleppte zum Tausch dafür
Tonjas Spiegelschränkchen hinunter in den Schlitten, um es seiner jungen Frau
zu schenken. Nachdem er für die nächste Zeit Kartoffeln versprochen hatte,
fragte er beiläufig nach dem Preis des Klaviers an der Tür.
Als Juri Shiwago nach Hause
kam, sagte er nichts weiter zu dem Tauschgeschäft seiner Frau. Das Schränkchen
zu zerhacken wäre vorteilhafter und zweckmäßiger gewesen, aber das hätten sie
beide nicht fertiggebracht.
»Hast du den Zettel auf dem
Tisch gesehen?« fragte seine Frau.
»Vom Krankenhausleiter? Ich
weiß Bescheid, man hat es mir gesagt. Ich soll einen Krankenbesuch machen. Ich
werde auch hingehen. Ich ruhe mich nur ein Weilchen aus, dann ziehe ich los.
Aber es ist ziemlich weit. Irgendwo beim Triumphbogen. Ich habe mir die Adresse
aufgeschrieben.«
»Ein komisches Honorar bieten
sie an. Hast du gesehen? Lies doch mal. Eine Flasche deutschen Kognak oder ein
Paar Damenstrümpfe. Womit die einen locken! Wer könnte das sein? Geschmackloser
Ton und völlige Unkenntnis unseres jetzigen Lebens. Das müssen irgendwelche
Neureiche sein.«
»Ja, vielleicht ein
Lieferant.«
Mit diesem Wort wurden außer
den Konzessionären und Bevollmächtigten kleine Unternehmer bezeichnet, denen
die Staatsmacht, die den Privathandel vernichtet hatte, in kritischen
Wirtschaftssituationen kleine Vergünstigungen gewährte, indem sie mit ihnen
Verträge und Abkommen über verschiedene Lieferungen schloß.
Zu ihnen gehörten nicht mehr
die gestürzten Häupter alter Firmen und die Großeigentümer. Sie hatten sich von
dem Schlag nicht wieder erholen können. Es waren Eintagshändler, durch Krieg
und Revolution vom Grunde nach oben gespült, neue und zugereiste Menschen ohne
Wurzeln.
Der Arzt trank heißes Wasser
mit Milch und Saccharin, dann machte er sich auf den Weg zu der Patientin.
Bürgersteige und Fahrbahnen
lagen unter hohem Schnee begraben, der die Straßen von einer Häuserzeile zur
anderen bedeckte. Stellenweise erreichte der Schnee die Parterrefenster. Auf
der ganzen Straßenbreite bewegten sich stumme halblebendige Schatten, die
irgendwelche kärglichen Lebensmittel schleppten oder auf Schlitten zogen.
Fahrzeuge waren kaum zu sehen.
An den Häusern hingen noch da
und dort die früheren Aushängeschilder. In den Läden waren Konsums und
Kooperative untergebracht, doch sie waren verschlossen oder zugenagelt, hatten
vergitterte Fenster, sie waren leer.
Das lag nicht nur an dem
Warenmangel, sondern auch daran, daß die Umgestaltung des Lebens und des
Handels sich erst in sehr allgemeinen Zügen vollzog und diese vernagelten Läden,
diesen Kleinkram, noch nicht erfaßte.
Das Haus, das Doktor Shiwago
aufsuchen sollte, lag am Ende der Brestskaja-Straße, unweit des Twerskaja-Tors.
Es war ein kasernenartiges
Ziegelgebäude in vorsintflutlicher Bauweise mit einem Innenhof, um den sich in
drei Reihen Holzgalerien an den Hauswänden entlangzogen.
Die Mieter hielten soeben eine
vorher anberaumte Versammlung ab, der auch eine
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