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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Vertreterin des
Stadtbezirkssowjets beiwohnte, als plötzlich im Hause eine Militärkommission
erschien, um Waffenscheine zu prüfen und nicht genehmigte Waffen zu
beschlagnahmen. Der Natschalnik, der die Durchsuchung leitete, bat die
Bezirksdelegierte, sich nicht zu entfernen, und versicherte, die Durchsuchung
werde nicht lange dauern und die nicht mehr benötigten Mieter würden in die
Versammlung zurückkehren, die dann fortgesetzt werden könne.
    Die Durchsuchung näherte sich
ihrem Ende, und eben war die Wohnung an der Reihe, in der Doktor Shiwago
erwartet wurde, als er die Haustür erreichte. Ein Soldat mit einem Gewehr an einer
Leine, der vor einer der Treppen zu den Galerien Posten stand, weigerte sich
strikt, ihn durchzulassen, doch da mischte sich der Natschalnik ein und befahl,
den Arzt nicht zu behindern, und fand sich sogar bereit, mit der Durchsuchung
zu warten, bis er die Kranke untersucht habe.
    Den Arzt empfing der
Wohnungsinhaber, ein höflicher junger Mann mit mattem brünettem Gesicht und
melancholischen dunklen Augen. Er war erregt über die Krankheit seiner Frau,
die drohende Durchsuchung und den ungewöhnlichen Respekt, den er für die
Medizin und ihre Vertreter hegte.
    Um dem Arzt Zeit und Mühe zu
sparen, bemühte er sich, möglichst kurz zu sprechen, aber diese Hast machte
seine Rede lang und verworren.
    Die Wohnung, ein Gemisch von
Luxus und Billigkram, war vollgestopft mit Gegenständen, in aller Eile
zusammengekauft, um das immer wertloser
werdende Geld irgendwie wertbeständig anzulegen. Neben
Möbeln von auseinandergerissenen Garnituren gab es Stücke, zu denen die
Ergänzungen fehlten.
    Der Wohnungsinhaber glaubte,
seine Frau litte vor Schreck an einer Nervenkrankheit. Mit vielen Einzelheiten,
die nicht zur Sache gehörten, erzählte er dem Arzt, man habe ihnen für billiges
Geld eine kaputte altertümliche Spieluhr verkauft, die seit langem nicht mehr
ging. Sie hätten sie nur als Anschauungsstück für meisterlichen Uhrenbau, als
Rarität erworben (er führte den Arzt ins Nebenzimmer, um sie ihm zu zeigen).
Sie hätten sogar bezweifelt, ob das Ding noch zu reparieren sei. Plötzlich habe
die Uhr, jahrelang nicht aufgezogen, von selbst zu spielen begonnen, die
Glöckchen hätten ein kompliziertes Menuett geklimpert, dann sei sie wieder
stehengeblieben. Seine Frau sei ganz entsetzt gewesen, denn sie glaubte nicht
anders, als daß ihr letztes Stündlein geschlagen habe, und nun liege sie da,
phantasiere, esse und trinke nicht und erkenne ihn nicht.
    »Sie meinen also, es wäre ein
Nervenschock?« fragte der Arzt zweifelnd. »Führen Sie mich zu der Kranken.«
    Sie betraten das Nebenzimmer,
in dem ein Kronleuchter aus Porzellan hing. Zu beiden Seiten des Doppelbetts
standen Nachttische aus Mahagoni. Auf dem Bettrand lag, die Decke bis ans Kinn
gezogen, eine kleine Frau mit großen schwarzen Augen. Als sie die beiden Männer
sah, wollte sie sie mit ausgestrecktem Arm, von dem der weite Ärmel des Morgenmantels
bis an die Achsel herunterglitt, wieder aus dem Zimmer winken. Sie erkannte
ihren Mann nicht und sang, als wäre niemand im Zimmer, mit leiser Stimme den
Anfang eines traurigen Liedchens; das rührte sie so, daß sie in Tränen ausbrach
und kindlich schluchzend darum bat, nach Hause gebracht zu werden. Von welcher
Seite der Arzt sich ihr auch näherte, sie widersetzte sich der Untersuchung,
indem sie ihm jedesmal den Rücken kehrte.
    »Ich müßte sie untersuchen«,
sagte Doktor Shiwago. »Aber mir ist auch so schon alles klar. Sie hat
Flecktyphus, noch dazu in ziemlich schwerer Form. Die Ärmste quält sich sehr.
Ich rate Ihnen dringend, sie ins Krankenhaus zu bringen. Die Bequemlichkeiten,
die Sie ihr hier bieten können, sind nicht so wichtig wie ständige ärztliche
Aufsicht, die sie in den ersten Krankheitswochen braucht. Können Sie irgendein
Fahrzeug beschaffen, eine Droschke oder schlimmstenfalls einen Lastschlitten,
um sie hinzubringen, selbstverständlich warm eingepackt? Ich schreibe Ihnen
eine Einweisung.«
    »Das kann ich. Ich werde mich
bemühen. Aber warten Sie. Hat sie wirklich Typhus? Entsetzlich!«
    »Leiderja.«
    »Ich habe Angst, sie zu
verlieren, wenn ich sie von mir weglasse. Könnten Sie sie denn nicht hier
behandeln, indem Sie möglichst oft kommen? Ich würde Ihnen jedes Honorar
zahlen.«
    »Ich habe es Ihnen doch
erklärt. Wichtig ist eine ständige Beobachtung. Hören Sie, ich gebe Ihnen einen
guten Rat. Besorgen Sie eine Droschke, egal wie, und ich stelle

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