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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Ihnen ein
Begleitschreiben aus. Am besten setze ich es bei Ihnen im Hauskomitee auf. Ich
brauche den Stempel des Hauses und weitere Formalitäten.«
     
    Nach der Befragung und
Durchsuchung kehrten die Mieter, in warme Tücher gewickelt oder im Pelzmantel,
in den ungeheizten Raum zurück, der früher ein Lager für Eier war und jetzt das
Hauskomitee beherbergte.
    Auf einer Seite des Raums
standen ein Bürotisch und ein paar Stühle, die jedoch nicht für alle
ausreichten. Darum waren rundum statt Bänken lange leere Eierkisten mit dem
Boden nach oben aufgestellt. Ein ganzer Berg solcher Kisten erhob sich am
anderen Ende des Raums bis an die Decke.
    Dort lag auch ein Haufen
gefrorene Holzwolle, von ausgelaufenen Eiern zusammengebacken. In diesem Haufen
krochen raschelnd Ratten herum, die manchmal auch auf den steinernen Fußboden
herauskamen und wieder in der Holzwolle verschwanden.
    Dann sprang jedesmal
kreischend eine fette Mieterin auf eine der Kisten. Mit kokett abgespreizten
Fingern raffte sie den Rocksaum, trampelte mit den Füßen in modischen
langschäftigen Damenstiefeln und schrie, angetrunken, absichtlich laut: »Olja,
Olja, bei dir laufen ja Ratten rum. Huch, weg, verfluchtes Biest! Eijeijei, das
Mistvieh versteht ja! Sie ist mir böse. Eijei, jetzt kriecht sie über die
Kiste! Wenn sie mir bloß nicht unter den Rock schlüpft. Au, ich hab Angst, ich
hab Angst! Drehen Sie sich um, meine Herren Männer. Verzeihung, ich habe
vergessen, es gibt ja keine Männer mehr, also Genossen Bürger.«
    Das lärmende Weib trug einen
offenen Persianermantel. Darunter wogten sülzeartig in drei Ebenen ihr
Doppelkinn, ihr üppiger Busen und ihr vom Seidenkleid umspannter Bauch.
Irgendwann mochte sie unter drittrangigen Kaufleuten und Ladengehilfen als
Löwin gegolten haben. Die Schlitze ihrer Schweinsäuglein mit den verfetteten
Lidern öffneten sich kaum. Eine Rivalin hatte vor undenklichen Zeiten mit einem
Säurefläschchen nach ihr geworfen, sie jedoch verfehlt, und nur zwei oder drei
Spritzer hatten auf der linken Wange und im linken Mundwinkel leichte Spuren
geätzt, die kaum auffielen und fast verführerisch wirkten.
    »Schrei hier nicht herum,
Chrapugina. So kann man nicht arbeiten«, sagte die Frau am Tisch, die
Vertreterin des Stadtbezirkssowjets, von der Versammlung zur Vorsitzenden
gewählt.
    Die alteingesessenen Mieter
kannten sie seit langem gut, und sie kannte sie auch. Vor Beginn der
Versammlung hatte sie inoffiziell halblaut mit Tante Fatima gesprochen, der
alten Hausmeisterin, die früher mit ihrem Mann und den Kindern in einem
schmutzigen Keller gehaust hatte und nun mit ihrer Tochter im ersten Stock zwei
helle Zimmer bewohnte.
    »Na, wie geht's, Fatima?«
hatte die Vorsitzende gefragt.
    Fatima klagte, sie werde
allein nicht fertig mit dem großen Haus und den vielen Mietern, und sie habe
keine Hilfe, denn die auf die einzelnen Wohnungen verteilten Pflichten —
Säuberung des Hofes und der Straße — würden von niemandem eingehalten.
    »Laß nicht den Kopf hängen,
Fatima, wir stoßen ihnen die Hörner zurecht, verlaß dich drauf. Das soll ein
Hauskomitee sein? Kann man sich das vorstellen? Hier verstekken sich kriminelle
Elemente, zweifelhafte Figuren, die nicht mal eingetragen sind. Die kriegen von
uns eins aufs Dach, dann wählen wir ein anderes Komitee. Ich mache dich zur
Hausverwalterin, aber du darfst dich nicht sträuben.«
    Die Hausmeisterin flehte die
Vertreterin an, das nicht zu tun, aber die wollte nichts hören. Sie warf einen
Blick ins Zimmer, fand, daß genügend Leute beisammen seien, bat um Ruhe und
eröffnete mit einem kurzen Einführungswort die Versammlung. Nachdem sie die
Untätigkeit des bisherigen Hauskomitees gerügt hatte, schlug sie vor,
Kandidaten für die Neuwahl aufzustellen, und kam auf andere Probleme zu
sprechen. Dann sagte sie wie beiläufig: »Ja, so ist das, Genossen. Reden wir
Klartext. Euer Haus ist geräumig und eignet sich zum Wohnheim. Es kommen Delegierte
zu Beratungen, und wir wissen nicht, wo wir die Leute unterbringen sollen. Es
ist beschlossene Sache, das Gebäude dem Stadtbezirkssowjet als Haus für
Durchreisende zur Verfügung zu stellen und ihm den Namen des Genossen Tiwersin
zu geben, der vor seiner Verbannung in diesem Hause gewohnt hat, das wißt ihr
alle. Gibt es Einwände? Nun zur Frage der Räumung. Damit hat es keine Eile, ihr
habt ein Jahr Zeit. Die werktätige Bevölkerung wird von uns in andere Wohnungen
umquartiert, die nicht werktätige muß

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