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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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über die Hosen trugen
und barfuß gingen, Männer mit und ohne Bart, standen an den offenen Türen der
stickigen Güterwaggons, hielten sich an den Türpfosten oder an der Querstange
fest, blickten düster auf die Landschaft und deren Bewohner und sprachen mit
niemandem. Sie hatten nicht die erforderlichen Beziehungen und konnten auf
nichts hoffen.
    Diese Leute hatten nicht alle
in den ihnen zugewiesenen Waggons Platz gefunden. Ein Teil war in die mittleren
Waggons zu den gewöhnlichen Reisenden gesteckt worden. Auch im vierzehnten
Waggon fuhren einige mit.
     
    Wenn sich der Zug einer
Station näherte, richtete sich die oben liegende Tonja in der unbequemen
Stellung, zu der die niedrige Waggondecke sie zwang, ein wenig auf, beugte sich
hinunter und blickte durch die halbgeöffnete Tür, um zu sehen, ob der Ort zum
Tauschen von Interesse sei und ob es lohnte, von der Pritsche zu steigen und
hinauszugehen.
    So auch jetzt. Die langsamere
Fahrt des Zugs riß sie aus dem Halbschlaf. Die vielen Weichen, die der Waggon
mit zunehmendem Rattern überfuhr, deuteten darauf hin, daß es eine größere
Station war, wo der Zug längere Zeit halten würde.
    Tonja setzte sich gebückt hin,
rieb sich die Augen, richtete die Haare, griff in den Sack und zog von ganz unten
ein mit Hähnen, Burschen, Bögen und Rädern besticktes Handtuch hervor.
    Inzwischen war auch Shiwago
erwacht, stieg als erster zu Boden und half seiner Frau herunter.
    Mittlerweile glitten an der
offenen Waggontür nach den Wärterhäuschen und Stationslaternen bereits die
Bäume des Bahnhofs vorüber, die ihre dicken Schneeschichten auf ausgestreckten
Asten dem Zug darreichten wie Brot und Salz. Noch während der Fahrt sprangen
die Matrosen auf den jungfräulichen Schnee des Bahnsteigs und eilten allen
voran um die Ecke des Bahnhofsgebäudes, wo gewöhnlich im Schutz der Seitenwand
Händlerinnen unerlaubterweise Eßwaren anboten.
    Die schwarze Uniform der
Matrosen, die flatternden Bänder ihrer Mützen und ihre trichterartig nach unten
sich erweiternden Hosen verliehen ihrem Schritt Nachdruck und Schnelligkeit, so
daß die Leute vor ihnen auseinandertraten wie vor Anlauf nehmenden Skifahrern
oder dahinjagenden Schlittschuhläufern.
    Hinter der Bahnhofsecke
standen aufgeregt, als ob sie sich wahrsagen ließen, und sich hintereinander
verkriechend, in einer Reihe Bäuerinnen aus den umliegenden Dörfern mit Gurken,
Quark, gekochtem Rindfleisch und Käsekuchen aus Roggenmehl, die in der Kälte
ihren Duft und ihre Wärme unter dicken Steppdecken bewahrten. Die Frauen und
Mädchen, die ihre Tücher unter die Halbpelze gestopft hatten, glühten rot wie
Mohn von den Matrosenscherzen und fürchteten sie zugleich wie das Feuer, denn
vor allem aus Matrosen wurden die Abteilungen zum Kampf gegen das Schiebertum
und den verbotenen freien Handel gebildet.
    Die Verlegenheit der
Bäuerinnen währte nicht lange. Der Zug hielt, die anderen Fahrgäste kamen.
Alles vermischte sich. Der Handel blühte.
    Tonja ging die Reihe der
Händlerinnen entlang, das Handtuch über die Schulter geworfen, und tat so, als
wollte sie sich hinter dem Bahnhof mit Schnee waschen. Sie wurde ein paarmal
angerufen: »He, he, Städtische, was willst du für das Tuch?« Aber Tonja blieb
nicht stehen, sie ging mit ihrem Mann weiter.
    Am Ende der Reihe stand eine
Frau mit schwarzem, knallrot gemustertem Kopftuch. Sie sah das bestickte
Handtuch. Ihre frechen Augen glitzerten. Sie blickte nach rechts und links,
vergewisserte sich, daß ihr keine Gefahr drohte, trat dann rasch zu Tonja,
schlug die Decke von ihrer Ware und flüsterte hastig und hitzig: »Schau her.
Schon mal so was gesehen? Kriegst du nicht Lust? Überleg nicht lange, sonst
nehmen sie's mir weg. Gib mir das Handtuch für den Polotok.«
    Dieses Wort kannte Tonja
nicht. Sie glaubte, es ginge um ein Kleid. Darum fragte sie: »Was ist das,
meine Beste?«
    Polotok, so erklärte die
Bäuerin, sei ein halber Hase, längelang gespalten und vom Kopf bis zum Schwanz
in einem Stück gebraten. Sie hielt das Ding in den Händen und wiederholte: »Gib
mir das Handtuch für den Polotok. Was guckst du so? Das ist kein Hund. Mein
Mann ist Jäger. Das ist ein richtiger Hase.«
    Der Tausch wurde vollzogen.
Beide glaubten, auf Kosten des anderen ein gutes Geschäft gemacht zu haben.
Tonja schämte sich, eine arme Bäuerin so unredlich übervorteilt zu haben. Diese
hingegen, zufrieden mit dem Handel, hatte es eilig zu verschwinden, sie rief
ihre Nachbarin, die

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